Mit Überwachungsprogrammen wie «Prism» und «Tempora» wird die Fiktion von der Realität eingeholt. Aus diesem Anlass präsentieren wir 7 Kultwerke über die Kontrollgesellschaft, die bis heute lesens- und sehenswert geblieben sind.
In unserer aktuellen Wochenausgabe führt Kollege Loser unter dem Titel «Du bist nicht Frodo» aus, wie die Fiktion von der Realität eingeholt wird. Warum regt sich niemand über die Überwachungsprogramme «Prism» und «Tempora» auf? Die Antwort ist in den Klassikern der Überwachungsliteratur zu finden: Wir sind die schweigende und dumpfe Masse. Aus diesem Anlass empfehlen wir 7 Kultwerke, die um die aktuellen Themen Kontrollgesellschaft und Überwachungsstaat kreisen:
1. 1984 (1948)
Als Über-Klassiker der dystopischen Überwachungsromane gilt nach wie vor George Orwells «1984», dessen Titel sich aus den umgedrehten Zahlen seines Fertigstellungsjahres ergibt, und damit die Nähe zur damalig aktuellen Weltlage betont. Darin erlebt Winston Smith am eigenen Leib, dass die Gedankenpolizei der allgegenwärtigen Partei des «Grossen Bruders» mit potentiell «gefährlichen Subjekten» kurzen Prozess macht: Nach dem Umerziehungslager ist der gebrochene Anti-Held «geheilt» – und sehnt seine Exekution herbei. Orwells dystopisches Werk bildet bis heute den Masstab aller politisch-kritischen Science-Fiction-Fantasien. (tah)
2. Herr der Ringe (1954)
Auch J.R.R. Tolkiens zur gleichen Zeit fertiggestellte Trilogie «Herr der Ringe» wird oft als Parabel über den korrumpierenden Charakter der Macht und die unmenschlichen Folgen totaler Überwachung gelesen (wie zum Beispiel Saurons allsehendes Auge) und das Janus-Gesicht des Rings als Allmachtsinstrument und in totale Abhängigkeit führende Fessel. Im Gegensatz zu Orwell distanzierte sich Tolkien allerdings vor allzu klaren zeitdiagnostischen Deutungsversuchen und betonte, den grössten (politischen) Einfluss auf das Kult-Fantasy-Epos hätte sein eigenes Erleben des 1. Weltkriegs dargestellt. (tah)
3. Schöne Neue Welt (1931)
Bereits 1931 skizzierte mit Aldous Huxley ebenfalls ein Brite eine gänzlich anders geartete Dystopie: In seinem Klassiker «Schöne Neue Welt» wird das Leben der in Kasten zwischen «Alphas» und «Epsilons» eingeteilten Menschen bereits vom Brutkasten an komplett überwacht, so dass die durch Konsum (u.a. der Droge Soma) ruhig gestellten Menschen gar kein Verlangen mehr spüren, diese Weltordnung zu hinterfragen. Die Auswegslosigkeit der eigenen Situation und das Fehlen eines kritischen Bewusstseins bei der Bevölkerung führen dazu, dass sich die Hauptperson John zum Ende hin freiwillig das Leben nimmt. Huxleys oft unterschätzter Roman erwies sich in vielerlei Hinsicht tatsächlich als beunruhigend präzis und prophetisch für gegenwärtige Entwicklungen (tah)
4. The Matrix (1998)
Eine ähnliche Ausgangslage verfolgt die US-Filmtrilogie «The Matrix» (ab 1998) der Wachowski -Brüder: Ausgangslage ist eine virtuellen Scheinwelt, die dem heutigen Alltag entspricht, während die Menschheit – durch Schläuche versorgt und direkt in die «Matrix» eingespiesen – tatsächlich von Geburt an in einer Schattenwelt dahinvegetiert, die nur mehr von einer Gruppe Hacker erkannt und bekämpft wird. Das Hollywood-Spektakel um Hauptfigur Neo (Keanu Reeves) vereint eine düster-durchgestylte Ästhetik, für damalige Verhältnisse atemberaubende Kampfszenen und Special Effects gekonnt mit einer zutiefst philosophischen Grundfrage: «Wie real ist unsere Wirklichkeit?». (tah)
5. Gattaca (1997)
Während Tom Cruise als zukünftiger Mörder in «Minority Report» (2002) «nur» präventiv aus dem Verkehr gezogen werden soll, ging der Science-Fiction-Thriller «Gattaca» fünf Jahre vorher bereits viel weiter: Hier wird der Mensch schon bei der Zeugung aufgrund seiner DNA als «valid» oder «invalid» bestimmt – und in letzterem Falle (trotz eines offiziellen «genetischen Diskrimnierungsverbots») erbarmungslos ausgegrenzt. Als einer jener «dank» der allmächtigen Gattaca Corporation aufgrund seiner schlechter Gene seit Geburt aussortierten, karrieretechnisch chancenlosen jungen Männer versucht Vincent (Ethan Hawke) seine biometrischen Daten zu fälschen, um den eigenen Astronautentraum dennoch zu verwirklichen – mit schwerwiegenden Folgen. (tah)
6. The Truman Show (1998)
Vor 15 Jahren kamen die Reality-Shows auch in der Schweiz an: «Big Brother» etwa, oder «Robinson», bei denen eine gecastete Kommune Tag und Nacht gefilmt wurde. Als «The Truman Show» just damals in die Kinos kam, traf der Film von Peter Weir den Nerv der Zeit: Truman Burbank ist ein Angestellter wie Du und ich, ein sympathischer, aufgestellter Kerl (brillant: Jim Carrey), gefangen in seiner täglichen Routine. Familie, Arbeitsweg, Job, Familie. Doch er ist mehr als das: Gefangen in einer künstlichen Kleinstadt, die eigens erbaut worden ist, um sein Leben von Geburt an zu dokumentieren. Truman ist unfreiwilliger Hauptdarsteller in einer Reality Show, der nach 29 Jahren allmählich dahinter kommt, dass hier ein fieses Spiel mit ihm gespielt wird – um an Ende den Ausbruch wagt – aus der Routine. Und aus der Kulisse. Starker Film, der mittlerweile von der Realität eingeholt wurde: Seit 2008 Psychiatrie-Fälle beschrieben wurden, in denen Patienten überzeugt waren, sie seien Hauptdarsteller einer Reality-Show, spricht die Fachwelt vom «Truman-Show-Wahn.» (mac)
7. Black Mirror (2012)
Als neuster Entwurf einer beängstigenden Kontrollgesellschaft geht die von Kritikern gefeierte, englische TV-Mini-Serie «Black Mirror« (2012) der Frage nach, welche potentielle Endlogik unsere allumfassende Abhängigkeit von Massenmedien mit sich bringen könnte – hier gipfelt sie etwa im live-übertragenen Sex des Premiers mit einem Schwein: Eine Sauerei in Serienformat also, wie sie dies wohl nur die CCTV-geplagten Briten mit ihrem ureigenen, tiefschwarzen Humor und beissenden Sarkasmus über die Mattscheibe flimmern lassen können. (tah)