Überhöhte Geschwindigkeit hat wohl das schwerste Zugunglück in Spanien seit mehr als 40 Jahren verursacht. Mindestens 78 Menschen starben und über 170 weitere wurden verletzt, als der Schnellzug am Mittwochabend in einer Kurve bei Santiago de Compostela aus den Gleisen sprang.
Am Tag nach der Katastrophe deutete alles darauf hin, dass der Zug vom Typ Alvia mit masslos überhöhtem Tempo in die A-Grandeira-Kurve etwa vier Kilometer südlich vom Stadtzentrum raste.
Allerdings gab es keine Angaben über die Ursache für die hohe Geschwindigkeit, die der Lokführer laut einem Bericht der Zeitung «El País» in einem Funkspruch mit 190 Stundenkilometern angab. An der Unglücksstelle sind 80 Stundenkilometer zulässig.
An dem entgleisten Zug gab es nach Angaben der staatlichen Bahngesellschaft Renfe kein technisches Problem. Der Unglückszug sei noch am selben Morgen einer Inspektion unterzogen worden, sagte Renfe-Präsident Julio Gómez-Pomar Rodríguez. Er bezeichnete den Lokführer als erfahren und wies darauf hin, dass der 52-Jährige seit mehr als einem Jahr auf der Unglücksstrecke im Dienst gewesen sei.
Schreckliche Bilder
Am Unglücksort spielten sich grauenhafte Szenen ab. Leichen und Leichenteile lagen auf den Gleisen.
Die Anwohner hörten die Schreie von Überlebenden. Mehrere Zeugen sprachen von einer «Explosion wie ein Donnerschlag», durch die sie auf das Unglück aufmerksam wurden.
Nach den jüngsten Angaben der Bahngesellschaft befanden sich 218 Reisende und 4 Mitarbeiter in dem Zug. Nahezu alle Überlebenden erlitten Verletzungen.
Tage der Trauer
In der Stadt Santiago de Compostela, die weltweit durch den dorthin führenden Jakobsweg als Pilgerstätte bekannt ist, liefen die Vorbereitungen für das Jakobsfest. Nach der Katastrophe wurden die Feierlichkeiten abgesagt. Stattdessen wurde in der Kathedrale ein Trauergottesdienst für die Opfer abgehalten.
Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy besuchte den Unglücksort. Rajoy, der selbst aus Santiago de Compostela stammt, sprach mit Rettungskräften, die weiter mit Bergungsarbeiten beschäftigt waren.
«Wie alle wissen, ist heute ein sehr schwieriger Tag», sagte der Regierungschef. «Wir haben ein schreckliches, dramatisches Unglück erlebt, das wir, wie ich fürchte, noch lange in Erinnerung haben werden.»
Die Region Galicien rief eine siebentägige Trauer für die Opfer aus. König Juan Carlos und der Thronfolger Felipe sagten am Donnerstag alle offiziellen Termine ab.
EDA: keine Kenntnis über Schweizer Opfer
Bundespräsident Ueli Maurer übermittelte König Juan Carlos und Ministerpräsident Mariano Rajoy ein Kondolenzschreiben, wie das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mitteilte. Maurer drückte im Namen des Bundesrates und des Schweizer Volkes seine Anteilnahme aus.
Das EDA hatte zunächst keine Kenntnis von Schweizern unter den Opfern des Unglücks. Entsprechende Abklärungen seien im Gange.
Papst Franziskus rief in Brasilien, wo er sich seit Montag anlässlich des Weltjugendtreffens aufhält, zum Gebet für die Opfer des Unglücks auf. Das Kirchenoberhaupt sei «den Familien in ihrem Schmerz nahe», sagte Vatikansprecher Federico Lombardi.
Das Unglück stellte einen traurigen Rekord für die Nachkriegszeit in Spanien auf: 1972 wurden 77 Tote gezählt, als ein Zug von Cadiz nach Sevilla in Andalusien entgleiste. 1944 ereignete sich eine Kollision zwischen einem Zug von Madrid nach Galicien und einer Lokomotive. Damals gab es mehrere hundert Tote.