90 Minuten Reise für 10 Minuten Schwimmen

Schwimmen macht fit und ist für Schüler eine wunderbare Abwechslung zum Turnen in der Halle. Doch Basel-Stadt hat zu wenig Schwimmhallen.

Kinder schwimmen gern – sie brauchen dazu aber Wasser.

Schwimmen macht fit und ist für Schüler eine wunderbare Abwechslung zum Turnen in der Halle. Doch Basel-Stadt hat zu wenig Schwimmhallen.

Zur Schule gehört zwingend der Mathematikunterricht. Dort lernt man nicht nur Addieren, was man später im Coop super brauchen kann, sondern auch allerlei, was man gleich wieder vergisst – zum Beispiel Integralrechnung. Was selten am Mathelehrer liegt.

Ebenfalls lernen tut man im Kanton Basel-Stadt das Schwimmen. Als Mami find ich das super, nur reicht der schulische Schwimmunterricht nicht wirklich, wenn das Kind nicht eh schon schwimmen tut. Zumindest meiner Erfahrung nach. Denn dafür finden die Lektionen schlicht zu selten statt. Da kann wiederum der Turnlehrer nix für.

«Wahnsinn Alltag!»
Der Alltag bietet manch Ärgernis, aber auch manch Freude. Diese beschreiben wir möglichst lebensnah und manchmal auch mit einem 😉 versehen in unserer Rubrik «Wahnsinn Alltag!». Und machen – wo’s nötig ist – den Faktencheck.

Wofür der Turnlehrer auch nix kann (und was ihn vielleicht sogar noch mehr ärgert als mich Mami), ist der Umstand mit den Schwimmbädern im Kanton Basel-Stadt. Weil: Schulklassen können ja nicht überall schwimmen – nein. Sie müssen in einer Schwimmhalle des Kantons ihre Bahnen ziehen. Also nicht im Rialto.

Die Klassen des Gottfried-Keller-Schulhauses (das liegt in der Nähe der Tramstation Morgartenring) müssen zum Schwimmunterricht ins Bläsischulhaus. Das liegt an der Müllheimerstrasse. Und die wiederum liegt im Kleinbasel. Also weit weg.

Der Grund für die Reise: Das Schulhaus St. Johann, das zwar nicht nahe, aber wenigstens näher liegt und eigentlicher Schwimmstandort für die Gottfried-Keller-Schule wäre, hat als einziges Schulhaus in Grossbasel-West eine Schwimmhalle und ist deshalb chronisch überlastet.

Turnlehrer und Mathematik

Jetzt fängt also der Turnlehrer an zu rechnen: 45 Minuten pro Weg vom Schulhaus via Innenstadt und Umkleidekabine bis ins Schwimmbad, das macht 90 Minuten insgesamt. Die Turn-Doppellektion dauert – 90 Minuten. Selbst wenn man also einfach die 10i-Pause kippt und sich stattdessen schonmal ins Drämmli setzt, bleiben nach Adam Riese 30 Minuten, in denen man noch ins Wasser kann (im konkreten Fall waren es 10 Minuten, in denen die Schüler Wasserkontakt hatten).

Oder aber der Turnlehrer überzieht und lädt den Zorn der Eltern auf sich, weil die Kinder viel zu spät zum Mittagessen erscheinen.

Oder aber er hofft auf schönes Wetter und geht ins Bachgraben. Und denkt sich bei Schlechtwetter: Lassen wir das mit dem Schwimmen – Turnen macht auch fit.

Was glauben Sie, wofür der Turnlehrer, der schon in der Primar rechnen gelernt hat, sich entscheidet?

PS: Der Kanton Basel-Stadt hat an folgenden Schulstandorten Schwimmhallen: Bläsi, Hirzbrunnen (Areal Bäumlihof), Kleinhüningen, St. Johann, Vogelsang.
Folgende Hallenbäder werden ebenfalls benutzt: Schwimmhalle Überbauung Sesselacker, Rittergasse, Gymnasium Kirschgarten, Schwimmhalle Roche.

In einer Interpellation von Attila Toptas aus dem Jahr 2010 beantwortete die Regierung die Frage, wie viele Klassen im Schuljahr 2009/10 keinen Schwimmunterreicht besuchen konnten, mit:
«Für 45 Klassen (1. bis 4. Jahrgangsstufe) konnte keine regelmässige Schwimmhallenbenutzung im Pensum integriert werden. Für diese Klassen ist vorgesehen, dass sie im Sommerhalbjahr die öffentlichen Gartenbäder für den Schwimmunterricht nutzen. Die 45 Klassen erhalten in einem anderen Jahr eine Schwimmhallenzuteilung. Für das Erreichen der Lernziele im Bereich Schwimmen ist es nicht nötig, dass die Klassen jedes Jahr eine Hallenbadzuteilung und eine ausgewiesene Lektion im Pensum haben.»
Und weiter: «Ferner soll die Nutzung der wenigen Schwimmhallen beleuchtet werden. Im Rahmen der Harmonisierung soll zudem der Bau neuer Schwimmhallen geprüft werden.»

Sechs Jahre später (also 2016) darauf angesprochen, lässt uns das Erziehungsdepartement diese Stellungnahme zukommen:
«In der von Ihnen beschriebenen Situation ist nicht alles optimal gelaufen und es sind Fehler passiert. Tatsache ist, dass die Lernziele im Schwimmen mit dem neuen Lehrplan 21 angestiegen sind. Deshalb ist es unser erklärtes Ziel, dass in Basel-Stadt alle rund 360 Primarschul-Klassen während eines Semesters pro Jahr Schwimmunterricht haben.
Zu Beginn dieses Schuljahres (2016/2017, Anm. d. Red.) wurde diese administrative Herkules-Aufgabe ein erstes Mal durchgeführt, das Ziel ist gemäss unseren Informationen erreicht – aber auch wir lernen hinzu und haben im nächsten Jahr mehr Erfahrungswerte.
Erfreulich ist, dass wir nach wie vor davon ausgehen, dass 95 Prozent der Kinder Ende 4. Klasse der Primarschule den ‹Basler Test› im Schwimmen erfolgreich absolvieren. Aber der Anspruch ‹1 Semester Schwimmunterricht pro Jahr› bedeutet auch und gerade für Kinder in Grossbasel-West (hier hat es genau eine Schwimmhalle im Santihans Schulhaus), dass der Weg in den Schwimmunterricht zum Teil tatsächlich lange ist. Und wenn man die anstehenden Schulhaus- und Schwimmhallenrenovationen anschaut, wird es auch in Zukunft zu solchen Szenarien kommen.»

Der Schwimmunterricht meiner Tochter (heute 6. Klasse) konnte auf keiner Schulstufe regulär stattfinden.

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