Die Wiener sind beim Essen noch emotionaler als die Italiener. Wir glauben, wir sind es auch. Aber das ist nur eine Phase. Ein Zustandsbericht.
Die Wiener sind beim Essen noch emotionaler als die Italiener. Wir glauben, wir sind es auch. Aber das ist nur eine Phase.
(Bild: Roger Meier)
Bei uns ist die emotionale Komponente beim Essen erst vor wenigen Jahren in die Gänge gekommen. Allerdings geht es bei uns meist weniger um wirklich gutes Essen als vielmehr um gutes Gewissen. Und die Preise überschlagen sich.
Vergewaltige Begriffe wie «Nachhaltigkeit» gehen um. Dieses Kraut vor einem am Marktstand etwa wird in Lappland von Halb-Inuits handgeerntet, die Woll-Schweine für diese spezifische Salami da in der Theke werden mehrmals täglich hinter den Ohren gekrault, damit sie nicht zu fett werden. Und alles muss 150-prozentig bio sein und vegan. Sojamilch ist out. Dafür darf es nun gerne Hafermilch sein im Kaffee. Unsereins graust es da nur noch und man erwartet das baldige direkte Ende der menschlichen Zivilisation.
Burgtheater-mässig dramatisch, geht es um’s Essen!
In Wien, der östlichsten Stadt im Westen, ist das alles nicht so. Dort muss es in erster Linie schmecken und es muss deftig, «moastig» sein, wie die Wiener sagen. Klar spielt die Qualität eine entscheidende Rolle. Allerdings kommt diese tatsächlich von Qualität und weniger von der Marketingagentur. Und man ist emotional. Ja hoch emotional gar, Burgtheater-mässig dramatisch, geht es um’s Essen!
Man redet ständig und gerne davon, vom Geniessen der leckeren Speisen, und erwähnt dabei niemals Wörter wie Kalorien, Übergewicht oder Cholesterin. Ständig Fragen über Fragen: Wo hat man das letzte Schnitzel verdrückt? Wo werden die besten «Serviettenknödl’n», die leckerste «Griessnockerl-Suppe» oder das beste Gulasch serviert? Diese täglichen Diskussionen gehen dann kulinarisch runter bis zum «Würstelstand». Gäbe es einen Essens-Emo-Quotienten, würden die Österreicher, insbesondere die Wiener, die Italiener um Längen schlagen. Weit gefehlt also, wer denkt, dass man in Wien eher eine ruhige Mozartkugel schiebt.
Mein persönlicher Schnitzel-Task ist mühsam und zeitintensiv.
Man frisst sich von Tag zu Tag so durch.
An der nicht immer so ganz blauen Donau war ich regelrecht überwältigt von dieser Fress-Emotionalität. Weil einem das so fremd ist hier. Ich meine, ich rufe doch nicht meine besten Freunde an und frage nach, ob sie schon gegessen haben, und falls ja, was, wo und wann. Aber auch ich werde schnell vom Virus des sündhaften Kalorien-Stemmens erfasst. Ganz besonders erpicht bin ich darauf, herauszufinden wo man in Wien das allerbeste Wiener Schnitzel bekommt und ich entschliesse mich daher in sechs Tagen Wien sechs «Schnitzel’n» zu verspeisen. Denn wenns um «das kulinarische Wahrzeichen Österreichs» geht (so preist es die Österreich-Werbung an) sind die Österreicher ganz eigen. Kein Wunder, sie verzehren im Schnitt auch fast 31 Schnitzel pro Jahr und Kopf, was ungefähr 42 Millionen Kilogramm Fleisch entspricht (vergleiche das Wirtschaftsblatt). Zudem glauben echte Wiener (das sind die mit einer böhmischen Grossmutter), dass man immer nur das zweitbeste Schnitzel finden kann, weil es ganz sicher noch anderswo ein noch besseres gibt. Mein persönlicher Schnitzel-Task ist daher mühsam und zeitintensiv. Zudem sagt jeder was anderes.
Man frisst sich von Tag zu Tag so durch. «Plachutta» ist sehr gut. «Skopnik und Lohn» eindeutig überbewertet. Bei «Filglmüller» ist die Panade eine Sägemehl-artige Beleidigung für jeden Wiener. Für unsereins hier dennoch unerreicht.
(Bild: Roger Meier)
Schneller geht es da bei Mozart-Kuglen, die überhaupt gar nicht aus Wien, sondern aus Salzburg stammen und daher nicht mehr von Interesse sind. Auch bei der Sachertorte ist es schnell und eindeutig entschieden – «Demel» ist der Sieger, obwohl das Original vom «Sacher» kommt, was sich allerdings wiederum auch nicht so einfach sagen lässt, als doch die Sachertorte am Sacher von einer gebürtigen Demel eingeführt worden war; damals, back in the Sissi days…
Diese Tatsache war dann auch monatelang Gegenstand vor Gericht als es darum ging, wer denn nun auf seiner Tortenschachtel noch das Wörtchen «originale» zwischen «die» und «Sachertorte» reinschieben durfte. Die beste «Käsekrainer» gibt’s bei «Britzinger», dem Würstelstand Wiens. Man kann dort auch noch halb torkelnd am Stand vor der Albertina unter der Woche morgens um halb fünf «a Eitrige mit an Bugl und an Dahingschiss’nen» (eben diese Wurst mit einer Semmel und etwas Senf) bestellen. Die Wurst schmeckt für unsereins eindeutig zu ostig.
Allerdings die Szenerien, die sich dort des Nachts abspielen, wiegeln auch diesen kulinarischen Tiefflieger wieder auf. So etwa die Szene, als dem fast 60-jährigen betrunkenen Herrn vom Ostwind sein Toupée vom Kopf gefegt wird, während er in die Wurst beisst und es nicht Mal bemerkt. Darauf nehmen wir noch «an Schnaps» und stossen mit ein paar Glatze tragenden Skins an. Man toastet sich zu und sagt anstatt «Prost» lieber «Oarschloch». Und ex.
Essen – Sex des Alters
Und so ging das dann jeden Tag. Über’s ganze Jahr wäre das nicht gesund. Den imaginären Preis für die beste Griessnockerl-Suppe gebe ich übrigens dem Restaurant «Amacord», benannt nach dem gleichnamigen Fellini-Film. Den für das beste der allerbesten Gulaschgerichte kriegt von mir das Wirtshaus «Pöschl». Der Award für Wiens besten «Studl» geht an das «Café am Markusplatz». Und den für das beste Schnitzel…?? Ah mei, leckt’s mich doch…
Zurück in Zürich ist das Kulinarik-Emo-Virus noch nicht ganz abgeheilt. Ich passe zwar immerhin überraschend schnell wieder in meine Givenchy-Hose, jedoch fallen hierzulande schnell wieder die mangelnde Qualität im Restaurant und der überaus mässige Service, insbesondere im Verhältnis zu den örtlichen Preisen, negativ auf. Essen – Sex des Alters, könnte man sagen. Fast schon wehmütig werde ich da und mein «GV» (Grüner Veltliner) korkt auch. Und wie ein Wiener würde ich wohl sofort zurück fliegen wollen und wohl wiederum als erstes ein Schnitzel bestellen, auch wenn ich mir das noch vor wenigen Tagen nie wieder im Leben hätte vorstellen können, und würde, wie wohl Thomas Bernhard früher, leicht angepisst in einer Frittaten-Suppe rühren und fast noch eine Träne hineindrücken wollen.
(Bild: Roger Meier)