Jetzt ist es da, das Abschiedsalbum von Ausnahmetalent Amy Winehouse: «Lioness: Hidden Treasures». Die verborgenen Schätze sind zwar nur ein Abklatsch von «Back to Black» – dennoch finden sich darauf passende Abschiedsseufzer für die hoffentlich letzte Ausschlachtung eines Jahrhunderttalents.
Es musste ja so kommen. Dieser Satz, als Fazit nach dem Tod von Amy Winehouse im Juli in unzähligen Nachrufen zu lesen, hat nichts an Gültigkeit verloren. Er gilt genauso, nein: noch viel genauer, für das Album, das jetzt, rechtzeitig zur Adventszeit, postum veröffentlicht wird: «Lioness: Hidden Treasures» lautet der Titel und verrät schon so vieles. «Lioness», die unverfroren euphemistische Hochstilisierung. Der Doppelpunkt. Die Inhaltsangabe „Hidden Treasures“. Ein Albumtitel, an dem allein so viel falsch scheint, dass er niemals der Künstlerin gerecht werden kann, die ein derartiges Konstrukt garantiert nicht gutgeheissen hätte.
Denn an Amy Winehouse war rein gar nichts versteckt. Im Gegenteil: Diese Kaiserin trug keine Kleider. Ihr Schatz, die unglaubliche Stimme, war ihre Waffe, die sie stolz vor sich her wedelte, fadengrad direkt und keineswegs im Boden verbuddelt. Genausosehr liess sie uns, die ganze Welt, an ihrem Wesen und Verwesen teilhaben. So schmerzerfüllt und traurig, so erniedrigend und dreckig sich ihr Leben auch gestaltete oder anfühlte, nie suchte diese Frau irgendetwas zu verbergen. Ihre Drogenprobleme, ihre Beziehungsängste, ihre Selbstzweifel: All dies prägte ihr Songwriting, ihre Texte und Gesang, liess ihre Stimme zu dem unverwechselbaren Organ werden, das es bis heute geblieben ist. Und: all dies machte ihren Erfolg aus.
Unzeitgemässe Authentizität
«Back to Black», der vor fünf Jahren erschienene Zweitling der Winehouse, das bestverkaufte Album der Nuller-Jahre, war nicht nur eine spektakuläre Feier des Nostalgiefetischismus, welcher diesem an musikalischen Innovationen arme Jahrzehnt den Stempel aufdrückte. «Back to Black», das war nicht nur ein unverschämt gut produziertes Stück Retro-Chic, käuflich zu erwerben wie die kauzigen Vintage-Wollpollunder oder ein Paar Secondhand-Sonnenbrillen. Produzent Mark Ronson mag der Winehouse dabei ein passendes Korsett auf den Leib geschneidert haben: Was dieses Werk ausmachte, war die unglaubliche Authentizität der darauf zu hörenden Stimme.
Hier war kein Autotune nötig, hier brauchte es keinerlei digitale Photoshop-Effekte: Denn Amy Winehouse war in ihrem Geist so unzeitgemäss echt, so analog eindringlich, so unverhohlen old-fashioned, dass sie ihren Erfolg in einer Industrie der grassierenden Künstlichkeit, in einer Welt, wo jeder Absturz in Sekundenschnelle um den Globus ging, nicht überleben konnte. Amy Winehouse verkörperte das kollektive Sehnen nach ungeschminktem, lidstrichverschmiertem Scheitern, nach unverzerrter und darum umso verzehrender Verzweiflung. So sehr, dass sie sich selber zum Abziehbild machte, zum wandelndem Klischee wurde, und schliesslich in den längst überwunden geglaubten «Club 27» einging.
Es bleiben die Fragen: Musste es wirklich so kommen? Muss man überhaupt über den Tod von jemandem weinen, dem scheinbar nur der Wein ein Gefühl von Geborgenheit, von Heimat gab, der sich so theatralisch vor der Weltöffentlichkeit mit Wodka zugrunde richtete? Und, noch vielmehr: Muss man ein Album mit Doppelpunkt im Titel kaufen, auf dem grosszügig geschätzt eineinhalb neue Songs zu finden sind? Das Album einer verstorbenen Nachtigall, auf der man die Leichenfledderer trapsen hört, dessen Vermarktung einem eigentlich die Galle hochkommen lässt? Ist es angebracht, sich in der gemütlichen Weihnachtsstube den Weltschmerz einer Ikone als flockige Hintergrundberieselung anzuhören?
Testament einer tragischen Figur
Die Antwort lautet: Jein. Nein, weil «Lioness: Hidden Treasures» nur fahle Nachahmung der verlorenen Naturgewalt ist, als Nachfolger nur faden Abklatsch der vorangegangenen Alben «Frank» und «Back to Black» bietet, kurz: Als Langspielträger mit dieser obskuren Ansammlung von unveröffentlichtem Material, Outtakes und letzten Aufnahmen bloss enttäuschen kann.
Ja, wenn man damit das Testament einer tragischen Figur würdigt. Wenn man bereit ist, sich dieser Tragödie in zwölf Teilen auszusetzen, sich mit der eigentlichen Chronik eines angekündigten Todes auseinanderzusetzen. Wenn man sich nochmals die gesamte Bandbreite des kurzen Schaffens der Ikone vergegenwärtigen möchte: Vom Teenager, der das Kunststück schafft, sogar dem abgedroschenen «Girl from Ipanema» eine eigene Note abzuringen, über die eigentlich besser zu Winehouse passenden, weil urchiger, rauher, aber gleichzeitig auch melodramatischer daherkommenden Varianten von «Tears Dry On Their Own», «Valerie» und «Wake Up Alone» bis zur letzten Aufnahme «A Song for You», Zeugnis der ungeheuren Intensität jener damals bereits gescheiterten Existenz, wo Winehouse zum Ende erklärt, warum sie den Interpreten Donny Hathaway lieber mag als einen Marvin Gaye: «It was like he couldn’t contain himself, he had something in him, you know.»
Amen: Ein perfekter Epitaph für Leben und Werk einer Epigonin, die in punkto Intensität und Epik ihre Vorgänger noch übertraf. Ein passender Abschiedsseufzer für die hoffentlich letzte Ausschlachtung eines Jahrhunderttalents. Man hört zu, von Emotionen geschüttelt, zu Tränen gerührt, und denkt: Ach, Amy. Es musste ja so kommen.