Der Prozess zum Tötungsdelikt Adeline wird für Monate ausgesetzt, um ein drittes psychiatrisches Gutachten einzuholen. Die Angehörigen der getöteten Sozialtherapeutin sagten wegen des Entscheids nicht mehr am Donnerstag aus.
Die Gerichtspräsidentin sorgte zu Beginn des vierten Prozesstages für einen Paukenschlag: Nach den Befragungen der Zeugen am Donnerstag solle die Gerichtsverhandlung ausgesetzt werden, bis ein drittes psychiatrisches Gutachten vorliegt, sagte sie um 9 Uhr.
Die Einschätzung der Experten spielt eine wichtige Rolle bei der Frage einer lebenslänglichen Verwahrung, die von Generalstaatsanwalt Olivier Jornot gefordert werden könnte. Dafür müssen zwei voneinander unabhängige Gutachten vorliegen.
Gegen das erste Gutachten von zwei Schweizer Psychiatern, die am Dienstag aussagten, äusserte das Gericht keine Vorbehalte. Sie sprachen von Tötungsfantasien, die der Angeklagte bereits vor dem Tötungsdelikt gehegt habe.
Wie die beiden französischen Gutachter, die im Prozess am Mittwoch ausgesagt hatten, sahen sie ein hohes Risiko für eine Wiederholungstat in naher Zukunft. Am Donnerstag gab die Gerichtspräsidentin nun bekannt, dass das Gutachten der französischen Psychiater im Prozess nicht berücksichtigt werde.
Ein einziges Gespräch
Einer der beiden französischen Gutachter erhielt das Dossier zum Tötungsdelikt am 3. Juni 2015 und befragte den Angeklagten am gleichen Tag, ohne das Dossier zu Kenntnis zu nehmen. Dabei handelte es sich um das einzige Gespräch mit dem Angeklagten.
«Der Gutachter hatte keine Kenntnis von wichtigen Fakten», sagte die Gerichtspräsidentin. Die überraschende Ankündigung des Gerichts sorgte für Unmut. Die Familie werde erst aussagen, wenn der Prozess fortgesetzt werde, sagte ihr Anwalt Simon Ntah.
Er akzeptierte die Entscheidung des Gerichts, ein drittes Gutachten einzuholen. Auch der Genfer Generalstaatsanwalt Olivier Jornot betonte, dass mit dem Entscheid die Trauer bei den Angehörigen verstärkt werde, wenn man ihnen sage, dass sie in sechs Monaten erneut antreten sollen.
Verteidigung gegen drittes Gutachten
Der Genfer Generalstaatsanwalt wusste davon, dass einer der Experten das Dossier erst am Tag der Befragung erhielt. Diese Methode habe ihn jedoch nicht gestört, sagte er. Ob auch das Gericht im Vorfeld davon wusste oder es erst während des Prozesses erfuhr, bleibt offen.
Die Verteidigung stellte sich gegen die Einholung eines dritten Gutachtens. Das verletze das Beschleunigungsgebot, wonach Strafverfahren unverzüglich an die Hand genommen und ohne unbegründete Verzögerungen zum Abschluss geführt werden müssten.
Der Verteidiger Yann Arnold schlug dem Gericht vergeblich eine Ergänzung des Gutachtens der Franzosen vor. Nun müssen neue Gutachter gefunden werden, die mit dem 42-jährigen Angeklagten zuvor nie zu tun hatten, was alleine schon Zeit in Anspruch nehmen wird.
Vertrauen in Justiz nicht verloren
Danach müssen diese den Angeklagten befragen und ihr Gutachten verfassen, was Monate dauern dürfte. Die Eltern der getöteten Sozialtherapeutin sagten beim Verlassen des Gerichtsgebäudes, dass sie immer noch Vertrauen in die Justiz hätten.
«Dieser Unterbruch gibt Zeugen, die sich krank schreiben liessen, die Möglichkeit, doch noch vor Gericht zu erscheinen» sagte der Vater von Adeline. Er spielte damit auf die Abmeldung der ehemaligen Direktorin des Zentrums «La Pâquerette» an, die im Prozess als Zeugin hätte aussagen sollen.
In dem auf Resozialisierung spezialisierten Zentrum war der Angeklagte inhaftiert und die Sozialtherapeutin tätig gewesen. Der Vater des Opfers hofft zudem, dass bis zur Fortsetzung des Prozesses der lang ersehnte Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) vorliegt, welche die Entscheide im Strafvollzug unter die Lupe nimmt. Die Publikation des Berichts ist nach mehreren Verschiebungen für Januar 2017 vorgesehen.