Nach den Unruhen mit fast 50 Toten befinden sich Ägyptens Präsident Mohammed Mursi und die Opposition auf Konfrontationskurs. Das wichtigste Oppositionsbündnis schlug Mursis Angebot zu einem „nationalen Dialog“ aus. Regierung und Senat verabschiedeten ein Gesetz, das Mursi den Einsatz der Armee im Landesinneren erlaubt.
Die ägyptischen Soldaten sollen künftig gemeinsam mit der Polizei für den Erhalt der öffentlichen „Sicherheit“ und den Schutz wichtiger Einrichtungen eingesetzt werden dürfen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Mena am Montag meldete.
Die Sondervollmachten des Präsidenten sollen bis zu Parlamentswahlen in Kraft bleiben. Der Urnengang soll nach den bisherigen Plänen in wenigen Monaten stattfinden. Mursi könnte die Sondervollmachten dem Entwurf zufolge im Bedarfsfall eigenmächtig immer dann nutzen, wenn er dies als erforderlich ansieht.
Erinnerung an Mubarak
Die jüngsten Sondervollmachten wecken bei einigen Demonstranten Erinnerungen an die autoritäre Herrschaft des früheren Machthabers Husni Mubarak. „Menschen sind gestorben, um Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu erlangen“, sagte der 65-jährige Ingenieur Mohammed Saber, der mit seiner Frau und seinen Kindern zu den Protesten in Kairo gekommen war.
„Nach 29 Jahren unter dem despotischen Mubarak werden wir jetzt von einem noch schlimmeren Regime regiert: Religiöse Faschisten – noch gefährlicher.“
Ausnahmezustand am Suez-Kanal
In einer im Fernsehen übertragenen Rede hatte Präsident Mursi am Sonntag den Ausnahmezustand über die Provinzen Port Said, Ismailija und Suez sowie eine nächtliche Ausgangssperre für 30 Tage verhängt.
Er werde nicht zögern, weitere Massnahmen zu ergreifen, um die Gewalt zu stoppen, kündigte der sichtlich aufgebrachte Staatschef an. Er habe die Polizei angewiesen, „entschlossen und bestimmt“ gegen jene vorzugehen, die staatliche Institutionen angriffen.
Allerdings versicherte Mursi auch, er wolle Ägypten nicht erneut eine autoritäre Herrschaft aufzwingen. „Es wird keine Abstriche bei Freiheit, Demokratie und Herrschaft des Rechts geben“, sagte der Präsident. Er lud die politischen Kräfte des Landes zu einem Dialog ein, um die Krise beizulegen.
Opposition will nicht
Das grösste Oppositionsbündnis wies das Gesprächsangebot umgehend zurück. Erst müssten ihre Forderungen erfüllt werden, sagten Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei und andere führende Vertreter der Nationalen Heilsfront am Montag.
Mursi müsse zunächst eine Regierung der nationalen Einheit ernennen und eine Kommission zur Überarbeitung der umstrittenen neuen Verfassung einsetzen, erklärte Baradei. „Bei dem Dialog, zu dem der Präsident uns eingeladen hat, geht es um die Form, nicht um den Inhalt“, sagte er. „Wir sind für jeden Dialog, wenn er eine klare Agenda hat, die die Nation ans sichere Ufer führen kann.“
Das wichtigste Oppositionsbündnis rief für Freitag zudem zu neuen Kundgebungen auf. Der Aufruf bezog sich auf das gesamte Staatsgebiet.
Unbeteiligter getötet
Auch am Montag lieferten sich Demonstranten und die Polizei den fünften Tag in Folge Strassenschlachten. Nahe dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo schleuderten Demonstranten Steine auf die Sicherheitskräfte, die Beamten feuerten Tränengas und Gummischrot in die Menge. Ein unbeteiligter Zuschauer soll dabei durch Schüsse getötet worden sein.