Die islamisch-fundamentalistischen Taliban sind am Montag nach heftigen Gefechten in das nordafghanische Kundus eingedrungen. Der Einmarsch in die Provinzhauptstadt ist ein Meilenstein im seit 14 Jahren anhaltenden Aufstand der von der Macht verdrängten Islamisten.
Nach einem Angriff der Taliban von drei Seiten am Morgen berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters von brennenden Gebäuden. Im Stadtzentrum war schweres Artillerie- und Gewehrfeuer zu hören, am Nachmittag waren die Kämpfe noch etwa einen Kilometer von den wichtigsten Regierungsgebäuden entfernt.
Die Polizei erklärte, Helikopter der Armee griffen die Aufständischen mit Raketen an. Bei den Gefechten seien zunächst 20 Islamisten getötet und drei Sicherheitskräfte verletzt worden. Ein Taliban-Sprecher rief die Bevölkerung über Twitter auf, in den Häusern zu bleiben. Die Bürger hättten von seiner Gruppe nichts zu befürchten.
Ein Polizeisprecher zeigte sich zuversichtlich, den Angriff bald zurückschlagen zu können. Die Truppenstärke sei dazu ausreichend, sagte er. Ein Polizeikommandant in der Nachbarprovinz Balch erklärte, Sondereinheiten von Polizei und Militär seien auf dem Weg nach Kundus.
Ein Regierungsmitarbeiter in Kundus-Stadt, der anonym bleiben wollte, sagte hingegen: «Einige Polizeiposten in der Stadt sind ebenfalls eingenommen worden. Taliban-Kämpfer mit ihren Waffen sind überall in der Stadt. Viele Menschen fliehen in Richtung des Flughafens, der etwas sicherer ist.»
Die Bundeswehr ist weg
Der Angriff auf Kundus ist der zweite in diesem Jahr: Im Juni hatten die afghanischen Streitkräfte einen Vorstoss abgewehrt. Die deutsche Bundeswehr betrieb in Kundus bis 2013 ein grosses Feldlager. Allerdings endete der NATO-Kampfeinsatz in Afghanistan im Dezember 2014. Der Nachfolgeeinsatz «Resolute Support» dient vor allem der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. US-Truppen fliegen weiterhin Luftangriffe gegen die Taliban.
Die Gewalt in Afghanistan hat in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Derzeit verliessen monatlich bis zu 100’000 Afghanen ihr Heimatland, berichtete die «Welt am Sonntag» unter Berufung auf Sicherheitskreise.