«Aimer, Boire et Chanter»

Ein Film, in dem die Hauptfigur gar nie zu sehen ist. Wie geht das? «Aimer, Boire et Chanter» – Alain Renais Vexierspiel mit einem Abwesenden Sein Drehbuchautor ist Alan Ayckbourne. Dieser Alain schafft es seit Jahren immer wieder, das Theater mit Komödien mit Tiefgang zu versorgen. Sein Regisseur Alain Renais inszeniert ihn wie auf der […]

Ein Film, in dem die Hauptfigur gar nie zu sehen ist. Wie geht das?

«Aimer, Boire et Chanter» – Alain Renais Vexierspiel mit einem Abwesenden

Sein Drehbuchautor ist Alan Ayckbourne. Dieser Alain schafft es seit Jahren immer wieder, das Theater mit Komödien mit Tiefgang zu versorgen. Sein Regisseur Alain Renais inszeniert ihn wie auf der Bühne: «Smoking / No Smoking» 1997 und 2006: Herzen. Jetzt ist es «Aimer, Boire et Chanter».

Zwei brillante Wirkungsmechaniker: Alain R. und Alain A..

So lebensleicht hat sich Alain Renais selten präsentiert. Dass er uns «Lieben, Trinken und Singen» in einem ankündigt, lässt erraten, welcher Übermut den alten Mann kurz vor seinem Tod noch einmal umtrieb. Es war sein letzter Film. Die Première in Berlin fand bereits ohne ihn statt. Er selber war -wie George in seinem Film – der grosse Abwesende im grossen Trubel.

Renais inszeniert das Theaterstück allerdings brav vom Blatt, setzt es in hübsch kenntlich gemachte Theaterkulissen, staubig, und so provinzselig, dass fast in Vergessenheit gerät, welch wunderbare Schauspielerinnen der Mann vor die Kamera bringt, ja, selbst die Kamera will uns manchmal vorenthalten, dass wir im Kino sind und nicht im Theater, was wir allerdings dank der gut gelaunten Bühnen-Schauspielerinnen immer wieder vergessen. Für Theaterfreunde ist das gewiss nie langweilig.

Tartuffe zu Ende gedacht

Der Abend lebt denn auch vor allem von der dramatischen Souplesse: Renais wendet das Prinzip «Tartuffe» auf einen ganz besonderen Scheinheiligen an. «George». Er ist die Hauptfigur des Abends: der Geliebte, der Betrüger, der Vater, der Ex-Mann, der Liebhaber. Alle reden ihn, wie sie über  Tartuffe, den Verführer und Heuchler und Frömmler, reden. Zwei Akte lang lässt Molière über seine Titelfigur verhandeln, ehe er ihn auftreten lässt. Ayckbourne geht noch weiter.

Er lässt seinen «George» gar nicht erst auftreten. Er lässt die anderen bloss an ihm zerbrechen, sich aufrichten, sich in ihn verlieben, ihn verlassen, sich von ihm lossagen, und sich untereinander kolossal verstreiten über ihn.

Das ist dramaturgisch raffiniert. Freilich haucht der papierene Inszenierungsstil der Vorlage nur leise prickelndes Leben ein. Immerhin lässt uns das ein wenig wie früher im Theater mitfühlen: Von geschliffenen Dialogen getragen, von den Schauspielern gut unterhalten. Nur ganz zum Schluss sind wir ein wenig verloren. Weil vorne niemand zum Schlussapplaus auf die Bühne kommt.

Auch nicht Renais. Ein Schlussapplaus für ihn wäre doch immerhin angebracht:  «Aimer, Boire et Chanter» ist ein liebevoller Schlussakkord. Kurz vor seinem Tod hat der hochbegabte Hochbetagte sich noch einmal ins Filmstudio begeben: Altersmild und mit einem grossen Augenzwinkern verabschiedet er sich von der Leinwand – und schenkt uns einen Theater-Film, der uns einen Abend lang an einen grossen Abwesenden erinnert: Alain R.

 

Der Film läuft ab Donnerstag in den Kult-Kinos.

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