Aktienmühle, Bollag und Hafen: Das «Zwischen» in der Basler Stadtentwicklung

Rheinabwärts, stadtauswärts: Während mehrerer Wochen haben wir uns intensiv mit dem Hafenareal und den umliegenden Gebieten beschäftigt. Es ist eine ganz besondere Ecke Basels – ein «Zwischen» unter allem andern. Rheinabwärts, stadtauswärts: Während mehrerer Wochen haben wir uns intensiv mit dem Hafenareal und den umliegenden Gebieten beschäftigt. Impressionen von Spaziergängen, Eindrücke von Veranstaltungen, Gespräche mit […]

Basler Hafenpanorama (Blick nach Norden) vom Bernoulli-Silo aus.

Rheinabwärts, stadtauswärts: Während mehrerer Wochen haben wir uns intensiv mit dem Hafenareal und den umliegenden Gebieten beschäftigt. Es ist eine ganz besondere Ecke Basels – ein «Zwischen» unter allem andern.

Rheinabwärts, stadtauswärts: Während mehrerer Wochen haben wir uns intensiv mit dem Hafenareal und den umliegenden Gebieten beschäftigt. Impressionen von Spaziergängen, Eindrücke von Veranstaltungen, Gespräche mit Bewohnern, unsere eigenen Überlegungen – all das fliesst in diesem Porträt einer besonderen Ecke Basels zusammen.

Bei einem Spaziergang vom Klybeck durch Kleinhüningen bis hin zum Hafen sticht Leerstand ins Auge. Man muss nur genau hinschauen und schon stellen sich drängende Fragen nach den Zuständigkeiten für die künftige Gestaltung und Entwicklung dieses Gebietes. Starke Brüche zwischen Industrie und Wohnen, Arbeit und Freizeit, Kultur und Natur, zwischen lokal und international sind augenscheinlich. Was könnte als «Zwischen», als Scharnier fungieren und eine bevölkerungsfreundliche Stadtentwicklung fördern?

Auf dem Bernoulli-Silo

Das Bernoulli-Silo und die Aktienmühle zeigen den unterschiedlichen Umgang mit Industriebauten. Spaziert man dem Klybeckquai entlang, erwartet einen dort zunächst eine Mischung aus Brachland, Industrieüberbleibseln und Zwischennutzungen. Letztere sind in den vergangenen zwei Jahren entstanden und bieten ein vielfältiges Angebot. Vorbei an Silos, freistehenden Schotterparzellen, der Landestelle und der Wagenburg gelangt man zur Marina-Bar, wo man in den Sommer- und Herbstmonaten bei einem kühlen Bier den jungen Herren beim Gärtnern oder Skaten zusehen kann.

Der Weg flussabwärts führt in einen weiteren Teil des Hafenareals, wo zwischen Kränen und Hafenbecken geschäftiges Treiben herrscht. Mittendrin erhebt sich ein altes hohes Backsteingebäude, das heute unter Denkmalschutz steht. Wir haben es mit einem Getreidesilo zu tun. Es wurde 1923 durch den Architekten Hans Bernoulli erbaut, der den Baslern durch einige zuvor realisierte Bauten bereits ein Begriff gewesen sein mochte.

Dazu zählen die Wasserhaus-Wohnsiedlung in Münchenstein oder das Tramdepot im Dreispitz. Heute befindet sich der Siloturm, wie unzählige andere Liegenschaften auf dem Areal, im Besitz der Firma Rhenus Port Logistics. Sie nutzt ihn zum Güterumschlag. Will man die Aussicht von der 45 Meter hohen Terrasse über den Rheinhafen und drei Länder geniessen, genügt im Sommer ein Blick ins Kinoprogramm des Neuen Kinos. Dieses ermöglicht bereits seit geraumer Zeit ein légères Freilufterlebnis mit alternativem Hintergrund. In den Wintermonaten bleibt einem nur die Option einer Hafenführung: Als wir mit unserem Seminar die unzähligen Stufen hochgeklettert sind, überblicken wir die gesamte Fläche. Die prominente Lage des Hafenareals wird evident.

Der Hafen im Umbruch

Die erklärenden Worte von Thomas Waltert führen uns das Potenzial des Gebiets vor Augen. Waltert ist Stadtplaner und arbeitet beim Baudepartement des Kantons Basel–Stadt, mit einem Fokus auf die Stadtentwicklungsthemen in Basel Nord. Mit einem direkten Blick auf die Orte des Geschehens können wir seinen Erklärungen folgen: Der Bau der Nordtangente und die parallel dazu verlaufenden Arealentwicklungen auf der Erlenmatt, entlang der Voltastrasse und der Novartis Campus machen Basel Nord zu einem «hot spot» der Stadtplanung.

Der Strukturwandel in den Baslern Industrie- und Logistikarealen hat auch auf die Flächen der Hafenwirtschaft einen grossen Einfluss. Waltert erklärt uns, dass mit der Entwicklungsvision 3Land die Neuausrichtung der heute weitgehend gewerblich genutzten Flächen trinational aufeinander abgestimmt und geplant werden. Ziel sei es, die Lage am Rhein für die Menschen zugänglich zu machen und die Siedlungsflächen an das Wasser zu bringen. Für den Schweizer Teil der Entwicklungsvision 3Land bedeutet dies, dass die Hafenareale am Rhein – genauer am Klybeckquai und auf der Westquai-Insel – auf die besser geeigneten Flächen direkt bei der Autobahn und der Eisenbahn verlagert werden sollen.

Der Bau eines dritten Hafenbeckens, eines Containerterminals und die Verlagerung der Hafenbahn bilden die wichtigen Investitionen für eine funktionierende Hafenwirtschaft des 21. Jahrhunderts und sind als Teil der Verlagerung der Güter auf die Bahn und als nicht unbedeutende Elemente der NEAT zu verstehen. Gleichzeitig bilden diese Massnahmen die Grundvoraussetzung für die Transformation des Hafengebiets im Klybeck und in Kleinhüningen.

Waltert erklärt uns weiter, dass die aktuelle Planung der «Rheininsel» erst in den Grundzügen festgelegt ist. In den nächsten zwei, drei Jahren soll die Planung konkretisiert werden, so dass die Transformation mit den Projekten für die Hafen- und Güterlogistik und den Bedürfnissen der Quartiere und der Gesamtstadt stattfinden kann.

Ein wichtiger Grundsatz der Planung wird dabei sein, die Entwicklungsmöglichkeiten nicht zu eng zu fassen, so dass auf die wechselnden Bedürfnisse in den konkreten Entwicklungsschritten und Bauprojekten reagiert werden kann. Das leuchtet alles ein.

Aber als wir die Stufen wieder hinabsteigen, stellen wir uns dennoch die Frage: Kann man so genau wissen, welche Gegebenheiten in zwanzig oder dreissig Jahren aktuell sein werden und ob jetzige Überlegungen zu Verkehr, Arbeiten und Wohnen überhaupt noch den zukünftigen Bedürfnissen der Menschen entsprechen werden? Was, wenn alles ganz anders wird, als wir es uns heute vorstellen können?

Zwischennutzung bei Kaffee und Kuchen

Der Zugang zur Aktienmühle gestaltet sich hingegen sehr viel müheloser. Bis vor rund neun Jahren wurde hier Getreide zu Mehl verarbeitet. Den ungewöhnlichen Namen verdankt sie ihrer Rechtsform als AG. Nach der Schliessung der Mühle 2004 wurde sie zunächst als Zwischennutzung vergeben bevor sie 2010 die Stiftung Habitat erwarb.

Heute ist der Mehlsack dem Dreirad gewichen. Kaum hat man das Tor zum ehemaligen Mühlenareal passiert, lässt man den nachmittäglichen Strassenlärm hinter sich und findet sich im bunten, spielerischen Treiben der Kinder wieder. Zur Linken laden Ping-Pong-Tische und ein ausrangierter Eisenbahnwagon zum Spielen ein, während in den alten Hallen fleissig gebastelt wird.

Rund um den gut 100-jährigen Bau wuchert in den Sommermonaten üppiges Grün, dazwischen bieten Quartiergarten und die Cafe-Bar eine gute Gelegenheit zum verweilen (auch in den Wintermonaten wird Programm geboten). Die ehemalige Getreidemühle bietet einen idealen Raum für Zwischennutzungen mitten im Quartier, bis die Stiftung Habitat ihre Renovationsarbeiten abgeschlossen hat.

Das Ziel ist, dass Platz für Kleingewerbe und Freizeit entsteht, ohne die bestehenden Projekte zu verdrängen. Grundsätzlich setzt sich die Stiftung für günstigen Wohn- und Gewerberaum in Basel ein und will somit zu einer lebenswerten Stadt beitragen. Erst in den kommenden Jahren wird die Nutzung durch eine Sanierung der Gebäude weiterentwickelt und Werkstätte ziehen in die Mühle ein.

Die Aktienmühle ist heute ein Ort, der Kreative anzieht. Ein gemütliches Café finden wir da, Familien die am öffentlichen Grill bräteln und ein Rohstofflager, wo Industrieteile zur Weiterverarbeitung erworben werden können. Aber wo sind die Bewohner des Quartiers, wo ist ihr «Zwischen»? Beherrscht und lähmt im Quartier die Angst vor der Gentrifizierung?

Erst cool, dann teuer?

Es wäre kein unüblicher Schachzug in der Stadtentwicklung, die «S-Bevölkerung», welche Studierende, Singles und Senioren einschliesst, zur Aufwertung eines Quartiers anzulocken – junge Kreative bringen «Leben» in ein Viertel, das neue Anreize schafft. Als «Zwischen» werden so oft Kreativschaffende eingesetzt, um das «Leben» in den Quartieren qualitativ aufzuwerten, bevor sie hochwertigem Wohnraum weichen müssen.

Dieses «Leben« bildet also die Grundlage für eine Stadtentwicklung im Sinne der zahlkräftigen Bevölkerungsgruppen, wie gutverdienende Singles und Doppelverdiener. Mit diesen tristen Gedanken im Hinterkopf bewegen wir uns wenige Schritte weiter und stehen sogleich vor dem Bollag, das als Neubau einen architektonischen Kontrast zum alten Gemäuer der Aktienmühle darstellt.

Das 2009 von den ARGE Barcelo Baumann Architekten/Kräuchi Architekten ETH SIA errichtete Ateliergebäude, das Raum für das künstlerische Schaffen der Genossenschaftsmitglieder des Bollag-Areals bietet, ist eine ungewöhnliche Form der Stadtentwicklung. Freistehende Flächen um die Aktienmühle und das Bollag sowie eine Transformation von Huntsman-, BASF- und den Novartis-Liegenschaften werfen Fragen an die Stadtentwicklung auf. Was sich dort künftig tun wird, scheint noch unklar.

Bereits auf dem Hafenareal finden sich Graffiti mit dem Wortlaut «Keine Angst, es ist nur Gentrifizierung», doch ist dieses Areal noch ein ganzes Stück von einer Gentrifizierung entfernt, oder nicht? Bilden Mühle und Bollag gemeinsam die erste Grundlage, das «Zwischen», für das Grossprojekt Hafenstadt? Vielleicht werden wir schlauer, wenn wir tiefer ins Quartier eindringen. Auf geht es in Richtung Hafen, ins Dorf Kleinhüningen. Das Projekt Hafenstadt macht Kleinhüningen zu einem Brennpunkt der gegenwärtigen Stadtentwicklung.

Begleitgruppe/Streitgruppe

Im Quartiertreffpunkt Kleinhüningen fand am 25. November 2013 eine öffenliche Infoveranstaltung zur Hafenstadt statt, unser Besuch zeigt uns, wie erhitzt die Gemüter der verschiedenen Akteure bereits sind. Wenn Baudepartement, Verwaltung, Quartierbevölkerung und Begleitgruppe aufeinandertreffen zeigt sich, dass Zusammenarbeit leichter gesagt als getan ist.

Die Kantonsverfassung des Kantons Basel-Stadt nennt die Zusammenarbeit als zwingenden Faktor für die Stadtentwicklung: «Der Staat bezieht die Quartierbevölkerung in seine Meinungs- und Willensbildung ein, sofern ihre Belange besonders betroffen sind.» Unbestritten qualifiziert ein architektonischer Eingriff in einem alteingesessenen Dorf wie Kleinhüningen dazu, dass dieser Artikel zur Anwendung kommt.

In einer Begleitgruppe haben rund 25 Vertreterinnen und Vertreter Einsitz:

«Sie vertreten das Quartier – und die Stadtbevölkerung, aber auch die verschiedenen Organisationen und Gruppierungen im Quartier. In regelmässigen Sitzungen mit der Verwaltung bearbeiten sie Fragen und Anliegen zur Hafen- und Stadtentwicklung. Die Gruppe erarbeitet zudem vertiefte Vorschläge zu verschiedenen Themen wie Städtebau, Quartierentwicklung, Nachhaltigkeit und Verkehr. Die Vorschläge der Begleitgruppe sind zwar nicht bindend, die Verwaltung ist aber verpflichtet, die Vorschläge zu prüfen, zu beurteilen und der Begleitgruppe begründete Antworten zu geben»

Dies ist der Webseite zu entnehmen. Eine gute Idee, um eine Gentrifizierungs-Dystopie zu vermeiden. An der öffentlichen Infoveranstaltung mischen wir uns unter die Besucher.

Viele wohnen im Quartier, sind alteingesessene Kleinhüninger. Andere betreiben Kleingewerbe im Hafen und einige fürchten um ihre Existenz. Sobald die Begleitgruppe dann ihre bisherigen erarbeiteten Vorschläge der Öffentlichkeit vorstellen will, bricht Unruhe im Saal aus, Zwischenrufe werden laut.

Es ist ganz offensichtlich, dass einige das Mitwirkungsprojekt als Verrat empfinden, als ein Überlaufen zum Staat, repräsentiert durch das Baudepartement. Diese Form der Mitwirkung scheint also die grosse Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Stadtplanung und den Investoren nicht mindern zu können. Vielleicht sollte man zunächst über ein breiteres «Zwischen» diskutieren? Mehr Zwischennutzungsprojekte bis zur Realisierung, die schon einmal andeuten, in welche Richtung der Wandel gehen könnte?

 Zwischen Lösung und Problem

Ein «Zwischen» sollte zukunftsorientiert gestaltet sein, es gilt etwas zu schaffen, das weiterentwickelt werden kann. Gewisse Zwischennutzungen werden häufig im Keim erstickt, während andere durch öffentliche Stellen und Ämter oder durch Stiftungen von Beginn an finanziert und damit reguliert werden.

Beide Vorgänge sind nicht zwingend im Sinne der Öffentlichkeit. Ein «Zwischen» sollte die Bedürfnisse aller Beteiligten repräsentieren. Diese fallen zugegebenermassen in einer Stadt sehr vielfältig aus. Daraus folgt umso mehr die Forderung, ein «Zwischen» aus der Bevölkerung selbst wachsen und gedeihen zu lassen.

Das ist eine Möglichkeit, eine Stadt der Vielfalt zu fördern – aus dem «Zwischen» wird ein Miteinander. Wie sieht die breite Öffentlichkeit das «Zwischen» von Klybeck und Kleinhüningen, von Industrie und Wohnquartier, von Stadt und Hafen, von «Inseln auf Zeit» und einer Hafenstadt der Zukunft? Jeder und jede ist gefragt, sich ein «Zwischen» vorzustellen, es fördert einen belebten Übergang von Brachland und Leerstand zum Weiterentwickeln eines Neuen.

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