Mit Alban Bergs «Wozzeck» eröffnet das Zürcher Opernhaus die Spielzeit. Und landet bereits einen Volltreffer, der unter die Haut geht.
Drei Akte zu je fünf prägnanten kurzen Szenen. Eine in sich geschlossene Handlung, die gradlinig in die Katastrophe steuert. Ein Personal, bestehend aus Prototypen, die wie Marionetten an den Fäden ihrer Obsession, ihres Wahns, ihrer conditio humana zappeln – ein grausiges Kaspertheater.
Regisseur Andreas Homoki liest Alban Bergs Geniestreich «Wozzeck» tatsächlich als surreales Puppenspiel. Zum ungewöhnlichen, ungemein suggestiven Regiekonzept hat Michael Levine ein kongeniales Bühnenbild entworfen, das in seiner grandiosen Schlichtheit – es soll allerdings hochkompliziert in der technischen Ausführung sein – buchstäblich einen Rahmen schafft.
Wobei: «ein Rahmen» beschreibt die Szenerie nur unzulänglich. Es handelt sich vielmehr um eine Serie von hinter- und ineinander gestaffelten Rahmen, deren Grösse perspektivisch abnimmt, was – wenn alle sechs zugleich sichtbar sind – eine faszinierende Tiefenwirkung ergibt. Zudem lassen sich die Rahmen horizontal und vertikal verengen und kippen was eine zusätzliche Spannung – Verengung oder Ausweitung des Raumes – bewirkt.
Wie Marionetten
In dieser geschachtelten Guckkastenbühne agieren die Protagonisten wie von unsichtbaren Fäden oder Stäben geführte Puppen. Sie schlenkern mit den Armen, hieven ein Bein über die Rahmenkante, sind meist nur bis zur Hüfte sichtbar: Kasperfiguren eben, die als getriebene Rädchen funktionieren, lieben und leiden, quälen, morden und sterben.
In den Massenszene entfaltet sich gar sarkastischer Humor: Etwa in der Prügelszene im Wirtshaus, im Kolloqium der schwadronierenden Doctores oder im Stechschritt der Militärparade: Hampelmänner allesamt, durch die Vervielfachung in mehreren Ebenen zur grotesken Farce verdichtet. Doch wenn sich die ermordete Marie auf eben diese Weise manifestiert, kippt der Irrwitz ins Albtraumartige: die Wahnvorstellungen von Wozzecks geschundener Seele.
Ausgezeichnetes Ensemble
Christian Gerhaher zeichnet einen bei aller Dumpfheit höchst differenzierten Wozzeck. Gun-Brit Barkmin mit flammendroter Lockenpracht ist eine erotische Projektionsfläche für den testosterongesteuerten Tambourmajor von Brandon Jovanovich. Sie führen ein Ensemble an, in dem jede Rolle adäquat und überzeugend besetzt ist – ein Saisonstart, der die Latte hoch setzt!