Alles ist lokal

In Ohio sieht man die Welt als das, was um einen herum passiert. Auch wenn der Präsident des Staatenbundes gewählt wird und die ganze Welt zuschaut – in Ohio ist auch das eine lokale Angelegenheit. Es ist schon interessant, wie manche Leute die Dinge sehen – insbesondere, wenn der Rest der Welt zuschaut. Oder gerade, […]

In Ohio sieht man die Welt als das, was um einen herum passiert. Auch wenn der Präsident des Staatenbundes gewählt wird und die ganze Welt zuschaut – in Ohio ist auch das eine lokale Angelegenheit.

Es ist schon interessant, wie manche Leute die Dinge sehen – insbesondere, wenn der Rest der Welt zuschaut. Oder gerade, obwohl der Rest der Welt zuschaut. Gerade in den USA, und gerade in Ohio.

Als wir vor 16 Jahren hierher kamen, saß ich wegen meiner damals dreieinhalbjährigen Tochter in einer hiesigen „Nursery School“, oder Kindergarten in der Peripherie, damit sich das Kind am Anfang unseres Aufenthalts eingewöhnen konnte. Schließlich sprach sie kein Wort Englisch damals. Ich war allerdings nicht alleine, oft gesellte sich eine ältere Frau zu mir, deren Enkelin gerade angefangen hatte, den Kindergarten zu besuchen, und die daher aus demselben Grund dort saß.

Wir unterhielten uns recht nett, und es war ja auch nicht schwierig, herauszufinden, daß ich nicht aus Wooster stamme. Das ist immer ein toller Gesprächsbeginn, auch heute noch. Sie versuchte, an meinen Erlebnissen Anteil zu nehmen, und fragte mich unter anderem, ob ich viel mit meiner Familie in Deutschland kommuniziere. 1996 war noch nicht viel mit Internet und Facebook und so, also erzählte ich ihr, daß Briefmarken von Deutschland aus DM 3.00 kosteten, während sie sich von USA aus unter 30 Cent beliefen. Sie war höchst erstaunt, und in ihrem Eifer, etwas Nettes und Produktives beizutragen fragte sie mich allen Ernstes, warum ich meiner Mutter nicht ein paar Briefmarken schicken könnte, wenn sie doch hier so billig seien? Ich mußte ihr dann erklären, daß die Deutsche Post wohl amerikanische Briefmarken nicht akzeptieren würde.

Das hört sich extrem an, ist aber eine absolut wahre Geschichte. Und sie illustriert recht gut, wie manche Leute hier die Dinge sehen. Nämlich äusserst lokal.

Ja, wir wählen demnächst den Präsidenten. Ja, da gab es gerade Vorwahlen. Aber wenn man sein Leben lang aus Ohio oder Wayne County nicht herausgekommen ist, bewegt einen das herzlich wenig. Da zählt irgendwo nur, was hier lokal läuft. Wer wurde Sheriff? Wer County Commissioner?

Während der Vorwahlen war hier alles recht belebt, jetzt wird es erst wieder interessant werden, wenn der republikanische Kandidat feststeht – und der steht auch nach den Vorahlen in Alabama etc. noch nicht fest. Obama hat in Ohio mit 100% bei den Demokraten gewonnen (was für eine Überraschung). Was aber wirklich für Furore sorgt sind: School Levies (in unserem Distrikt wurde grade knapp die Versorgung der hiesigen Schule gewährleistet) und eine Gruppe, die sich «We Are Ohio» nennt, und die hier die republikanischen Anstrengungen bekämpft, unter anderem das Wahlrecht zu beschränken. Dahingehend, daß man sich nicht mehr am selben Tag registrieren und wählen kann, etwa. Wenn ich den Leuten erkläre, daß das in Deutschland normal ist, schauen sie mich fassungslos an.

Und dann gibt es noch die sogenannten Super Pacs (von den Kandidaten unabhängige Wahlkampffinanzierungsfonds), die uns bereits bei den Vorwahlen genervt haben, und die uns noch mehr auf die Nerven gehen werden, wenn die Wahlen auf Hochtouren laufen. Denn seit „Citizens United“ (die in einem Bundesgerichtsentscheid gegen die Regierung haben feststellen lassen, dass diese unabhängigen Organisationen keine Vorschriften über die Wahlkampfausgaben machen darf), können hier alle ausgeben, was sie wollen, denn Unternehmen haben Meinungsfreiheit.

Ich bin froh, daß unsere Telefonnummer nicht mehr im offiziellen Verzeichnis steht.

Nächster Artikel