Wie versöhnlich, gibt es immer noch Spieler wie Andrea Pirlo.
Die bislang aussergewöhnlichste Szene dieser Europameisterschaft ereignete sich am Sonntagabend in der ersten Hälfte zwischen Italien und Spanien, wenige Meter vom Mittelkreis entfernt, in der Hälfte der Italiener. Ein spanischer Angriff war einmal mehr an den tätowierten Blutgrätschern in Blau abgeprallt und der Ball bei Andrea Pirlo gelandet. Er hatte etwas Platz, zog nach schräg rechts, spielte sich den Ball vom hinteren Fuss auf den vorderen und wieder zurück und passte dann weiter.
Das Aussergewöhnliche an diesem Trick war nicht dessen Raffinesse. Auf dem Platz in Danzig standen am Sonntagabend 22 Spieler, die den gleichen Trick (und bessere) blind spielen können. Das Aussergewöhnliche an Pirlos Trick war dessen Zweckfreiheit: Nicht weil er musste, spielte er sich den Ball zwischen den Füssen hin und her, nicht weil es die beste Lösung einer kniffligen Situation war. Nein, er spielte sich den Ball zwischen den Füssen hin und her, weil er es kann.
Ein Dribbling ohne Zweck – das ist den Jungen von heute unbekannt
Der moderne Fussball, so erzählen es uns unsere Sportredaktoren und mit ihnen all jene, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen, der moderne Fussball ist ein zweckorientierter. Es ist kein Zufall, dass wir vor ein paar Wochen etwas rührselig wurden beim Abschied vom Beni Huggel. Mit ihm ging einer der letzten Grossen, der nicht durch die Fussball-Internatsschule gedrechselt wurde. Die heutigen Profifussballer, die 20- bis 25-Jährigen, kennen alle Systeme, alle Laufwege, alle Lösungsmöglichkeiten für die verschiedenen Spielsituationen.
Aber sie kennen nichts anderes. Sie spielen zweckorientiert, vernünftig, rational. Gedribbelt und getrickst wird höchstens noch auf den Flügeln und auch dort nicht aus Freude am Spiel, sondern aus Zweckgründen: Ein in hoher Geschwindigkeit vorgetragenes Dribbling auf dem Flügel führt in den meisten Fällen zu einer Überzahlsituation. Ein Trick zwischen Mittelkreis und 16er führt meistens zu gar nichts.
Das ist eine alte Klage und eine etwas wehleidige vielleicht. Aber in Momenten wie am Sonntagabend hat sie eine grosse Berechtigung. Denn es blieb ja nicht bei dem einen zweckfreien Dribbling von Pirlo (der übrigens auch optisch in die alte Zeit gehört. Hat jemand gesehen, wie hoch der seine Hose gezogen hat?). Wie Pirlo mit wehenden Haaren und fliegenden Beinen kurz nach dem Anpfiff der zweiten Hälfte zwei Spanier stehen lässt und dann genialisch Di Natalie bedient, das war ebenfalls alte Schule.
Und grosse Klasse.