In Bern hat am Nachmittag die erste Session der neuen Legislatur begonnen. Vor der Vereidigung der Ratsmitglieder ergriffen traditionsgemäss das amtsälteste und das jüngste neu gewählte Ratsmitglied das Wort.
Die Ehre wurde den Sozialdemokraten Paul Rechsteiner (SG) und Mathias Reynard (VS) zu teil. Rechsteiner war zwar vor einer Woche in den Ständerat gewählt worden. Dort wird er aber wegen der noch laufenden Rekursfrist erst nächste Woche vereidigt. Bis dahin bleibt er Mitglied des Nationalrates.
Als Alterspräsident durfte Rechsteiner deshalb die 49. Legislatur eröffnen. Der 57-jährige Rechtsanwalt und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds sitzt seit 1986 ohne Unterbruch im Nationalrat.
„Ich erkläre hiermit die erste Sitzung der 49. Legislaturperiode für eröffnet“, sagte Rechsteiner um 14.30 Uhr. Nach einem feierlichen Blasmusik-Intermezzo blickte Rechsteiner auf seine 25 Jahre im Nationalrat zurück. Es sei eine andere Welt gewesen, als er begonnen habe, stellte er fest.
Von Tschernobyl bis Fukushima
Der Alterspräsident sprach in der Folge über die innen- und aussenpolitische Entwicklung in diesen Jahren. Er erinnerte an Ereignisse wie den Fall der Berliner Mauer und den Fichenskandal.
In den Vordergrund rückte Rechsteiner die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Er warf die Frage auf, wo die Schweiz heute stehen würde, wenn schon damals und nicht erst nach Fukushima die Weichen für eine neue Energiepolitik gestellt worden wären.
Regeln für die Finanzmärkte
Weiter sprach Rechsteiner über den Beinahe-Kollaps der UBS und deren Rettung. Krasser sei das Missverhältnis zwischen den Interessen der Finanzpolitik und der Demokratie nie zum Vorschein gekommen.
Die Fehlentwicklung an den Finanzmärkten sei eine Folge der Deregulierungsschübe während der Reagan-Ära, stellte Rechsteiner fest und forderte neue Regeln. Der Finanzsektor müsse dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.
Verhältnis zur EU neu definieren
Rechsteiner widmete sich auch der Europa-Frage. Das Verhältnis der Schweiz zu Europa gehöre zu den wichtigsten Themen der kommenden Jahre, „ob uns das passt oder nicht“. Die Schweiz werde ihr Verhältnis zur EU neu definieren und mit Widersprüchen leben müssen.
Zu letzt sprach der Gewerkschafter die soziale Frage an. Statt dass der gemeinsam erarbeitet Wohlstand allen zu Gute komme, habe sich die Kluft zwischen arm und reich wieder vertieft. Dies sei schlecht für die Demokratie. Die Räte sollten sich vom Grundsatz „Gemeinwohl geht vor Eigennutz“ leiten lassen, forderte Rechsteiner. „In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine spannende, eine erfolgreiche Legislatur.“
Träume des jüngsten Mitglieds
Der 24-jährige Mathias Reynard brachte anschliessend seine Hoffnungen und Träume für die Schweiz von morgen zum Ausdruck. „Ich träume von einer leistungsfähigen Schweiz, die sich den zukünftigen Forderungen stellen kann“, sagte das jüngste neu gewählte Nationalratsmitglied.
Er träume aber auch von einer Schweiz, in welcher es allen gut gehe, von einer Schweiz des Zusammenhalts und der sozialen Gerechtigkeit. Das Wohl der Gesellschaft messe sich stets am Wohlergehen ihrer schwächsten Mitglieder, gab Reynard zu bedenken.
Er rief ausserdem zur Generationensolidarität auf. Es sei nicht klug, Junge gegen Alte auszuspielen. Zur Weisheit der älteren Generation müsse sich die Energie der Jugend gesellen. Den Nationalrat forderte er zum Schluss dazu auf, niemals aufzugeben.