Ein redseliger Schlossherr, Labradors, die nicht mehr weichen wollen und am Abend sagt eine Bäuerin, wo es langgeht.
Der Schlossherr, jung, dicklich, beflissen, macht uns eine freundliche Aufwartung zum Frühstück, erklärt die Geschichte des Schlosses, wie wann was angebaut und erweitert worden sei. Das Schloss habe viele Besitzerwechsel im Mittelalter, in der Renaissance und später erlebt, nie durch gewalttätige Übernahmen, immer durch Heirat und Erbgänge.
Nach der Revolution ist es an den Staat gefallen, nachdem es vorher dem französischen König gehört habe. Schliesslich sei es in den Besitz der Marine gelangt; in den Fabrikhallen nebenan sind Ketten und Anker für die Kriegsschiffe fabriziert worden. Und jetzt sei es wieder in Privatbesitz. Ob er den Besitzer gut kenne, fragen wir.
«Sehr wohl», sagt er, «ich bin der Besitzer.» Wir essen leicht eingeschüchtert unser Frühstück.
Auf zum Nachbardorf, Balleray, dort geht die Wanderung wieder richtig los. Eine romanisch gedrungene malerische Kirche mit sehr altem Torbogen steht inmitten von ein paar Häusern. Zwei junge Hunde tollen herum, lustige Labradors. Der Vater etwas verärgert über den Unmut der Jungen. Als wir losgehen, schliessen sie sich uns an. Der Vater bleibt zurück. Kein Trick nützt, wir schaffen es nicht, sie heimzuschicken. Immer dicht auf den Fersen, schnappen die verspielten Tiere nach den Schuhen, tollen herum, jagen davon, kommen zurück. Wir versuchen alles: schreien, stumm stellen, absitzen und warten, davongehen. Es nützt nichts. Sie bleiben bei uns. Es gibt schliesslich nichts anderes, als nach Balleray zurückzugehen und die Besitzer aufzusuchen. Wir finden sie heraus, öffnen das Gartentor und schliessen die beiden ein. Ade, ihr hättet uns zwar gefallen.
Weizen, Hafer, Gerste und viel Dünger
Ein wunderbarer Rundgang dann mit prächtiger Aussicht auf die hüglige Burgunder Landschaft, Weizen-, Gersten-, Haferfelder ziehen sich in für uns ungewohnten Ausmassen an den leicht abfallenden Hängen hinauf und hinunter in den Talgrund. Dann wieder dichte Wälder. Die wilde Flora ist weniger üppig als im Loiregebiet oderin der Bretagne – der Getreidedünger wird seine Arbeit getan haben.
Gegen Mittag kehrt Sylvia zurück zum Auto. Sie wird irgendwo ein Hotel suchen. Ich marschiere los in zügigem Tempo über diese Weiten, sehr vergnügt. Plötzlich piepst das Handy; Sylvia, leicht genervt, teilt mit, dass hier einfach nirgends ein Hotel zu finden sei – in genau dem Moment, als ich in Oulon an einer Ferme-Auberge, so eine Art Bed&Breakfast auf dem Bauernhof, vorbeiwandere.
Ich biege ein, rufe «Hallo», doch da scheint niemand zu sein. Die Neugier packt mich, ich beginne auf dem herrschaftlich wirkenden Hof herumzustreifen und erschrecke dann schon ein bisschen, als aus dem Nichts plötzlich eine mächtige, etwa dreissigjährig Bauersfrau neben mir steht. Sie ist eine wirklich imposante Erscheinung, wirkt ziemlich resolut. Falls ich ein Zimmer suche, sagt sie, wäre eines frei und um halb acht gebe es Nachtessen. Ich habe verstanden: Da gibts keinen Einspruch – und wenn schon, dann nichts zu essen. Ich telefoniere Sylvia. Sie findet den Hof gerade zu rechten Zeit. Wir können das Bauerngut, das auch mal ein Château war, noch ein bisschen anschauen und dann werden wir ins Speisezimmer bestellt. Zum sehr herzhaften Mal serviert die Bäuerin einen schweren Burgunder. Draussen steigt der Vollmond empor und leuchtet uns den Weg auf dem Verdauungsspaziergang.
(Oulon, 20. Juni 2002}