Der erbitterte Streit zwischen Islamisten und Opposition um die Zukunft Ägyptens hat die Wähler in Scharen in die Wahllokale gelockt. 26 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, über den umstrittenen Entwurf einer neuen Verfassung abzustimmen.
Wegen des grossen Andrangs blieben die Wahllokale bis 22 Uhr MEZ geöffnet, vier Stunden länger als zunächst geplant. Die Wahlkommission rechnete mit einer Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent. Die Opposition beklagte Übergriffe von Islamisten und zahlreiche Wahlrechtsverstösse. Sie hatte ihre Anhänger aufgerufen, mit Nein zu stimmen.
Um Zusammenstösse zwischen Islamisten und Oppositionellen zu vermeiden, sicherte nach offiziellen Angaben eine Grossaufgebot von 300’000 Sicherheitskräften die Wahllokale ab. Darunter waren 130’000 Polizisten.
Eine Tote und mehrere Verletzte
Nach blutigen Ausschreitungen im Vorfeld des Referendums blieb es am Wahltag deutlich friedlicher: Laut ägyptischen Medienberichten wurden landesweit 19 Menschen bei Unruhen und Schlägereien verletzt. Laut Staatsfernsehen kam ferner eine Frau im Gedränge ums Leben, die im Kairoer Nobelstadtteil Samalek ihre Stimme abgeben wollte.
In der Hauptstadt Kairo attackierten hunderte Islamisten die Zentrale der liberalen Wafd-Partei. Wie das Online-Portal «Egypt Independent» berichtete, griffen sie das Gebäude am Abend mit Feuerwerkskörpern an.
Aus mehreren Regionen wurde über die Einschüchterung von Aktivisten durch bärtige Männer berichtet. In Alexandria übernahmen laut Zeitung «Al-Ahram» an einer Schule Salafisten die Wahlaufsicht und sagten den Wählern, sie sollten mit Ja stimmen. Insgesamt wurde in zehn Provinzen gewählt, weitere 17 mit rund 25 Millionen Wählern sollen am kommenden Samstag nachziehen.
Die Aufteilung in zwei Wahlrunden wurde wegen eines Boykotts von Richtern notwendig. Es fanden sich nicht genug Richter, um das Referendum an einem Tag landesweit zu überwachen.
Oppositionelle Richter beklagten, dass 26 Wahllokale in Kairo, Alexandria und zwei weiteren Provinzen ohne juristische Aufsicht gewesen seien. Das Justizministerium wies dies zurück.
Im Eiltempo durchgeboxt
Der Verfassungsprozess hat Ägypten tief gespalten. Die Opposition wirft den Islamisten vor, sie wollten das Land in Richtung Gottesstaat lenken. Viele Anhänger von Präsident Mursi wünschen sich genau das und sehen in dem Referendum eine Abstimmung für oder gegen den Islam.
Der Entwurf war von den Muslimbrüdern mit Unterstützung der radikalen Salafisten im Eiltempo erarbeitet und durchgeboxt worden. Linke und Liberale sowie die Christen verliessen aus Protest das Verfassungs-Gremium. Aus ihrer Sicht handelt es sich um eine Verfassung für die Islamisten und nicht das ganze ägyptische Volk.
Ergebnisse in einer Woche
Wird der Verfassungsentwurf angenommen, muss innerhalb von zwei Monaten ein neues Parlament gewählt werden. Das erste nach dem Sturz von Mubarak gewählte Unterhaus wurde im Sommer von einem Gericht aufgelöst. Dort hatten die Islamisten eine deutliche Mehrheit.
Lehnt eine Mehrheit der Wähler den Entwurf ab, muss eine neue verfassungsgebende Versammlung gewählt werden. Diese hat dann sechs Monate Zeit, einen Entwurf zu erarbeiten.
Die Ergebnisse der Stimmabgabe sollen erst nach Ende des Referendums am nächsten Wochenende bekannt gegeben werden. Die Opposition hat vor einer Veröffentlichung gewarnt, weil damit aus ihrer Sicht die Abstimmung in der kommenden Woche beeinflusst werden könnte.