Nach tagelangen Massenprotesten gegen Ägyptens Präsident Mohammed Mursi gibt es Anzeichen für eine Verschiebung des umstrittenen Verfassungsreferendums. Entsprechende Signale kamen aus der Wahlkommission und von Mursis Stellvertreter.
Staatsmedien meldeten am Freitagabend, die ursprünglich für diesen Samstag geplante Abstimmung der im Ausland lebenden Ägypter werde erst am Mittwoch beginnen. Die Wahlkommission habe einem entsprechenden Vorschlag zugestimmt. Ob auch der Termin für die Abstimmung in Ägypten verschoben wird, blieb unklar.
Allerdings erwägt Mursi nach den Worten seines Stellvertreters Mahmud Mekki, eine Verschiebung. Die Opposition müsse aber garantieren, dass sie dann nicht argumentiere, eine einmal angesetzte Volksabstimmung müsse innerhalb der Zwei-Wochen-Frist abgehalten werden.
„Rote Karte für Mursi“
In Kairo, Alexandria und mehreren Provinzstädten protestieren Zehntausende gegen Mursi und die Muslimbrüder. Allein in Kario gingen etwa 10’000 Menschen auf die Strasse. Die Kundgebungen standen unter dem Motto „Rote Karte für Mursi“.
Die Teilnehmer verlangten die Absage des Referendums, die Rücknahme der Sondervollmachten für den Präsidenten und „das Verschwinden des gesamten Regimes“ – ein Schlachtruf, der bereits vor dem Sturz des langjährigen Präsidenten Husni Mubarak im Februar 2011 zu hören war.
Am Abend drangen in Kairo friedliche Demonstranten zur durch Soldaten und Panzer geschützten Sperrzone vor dem Präsidentenpalast vor. Wie ein AFP-Reporter berichtete, verhinderten Soldaten ein Vordringen auf das Gelände des Palastes.
Demonstranten sprühten aber Sprüche wie „Verschwinde!“ auf die Aussenmauern des Komplexes. Gewalttätige Auseinandersetzungen gab es zunächst nicht. Einige Demonstranten kletterten auf Panzer, woran sie von den Soldaten nicht gehindert wurden.
Kein Dialog
Mursi hatte es am Donnerstag in einer Fernsehansprache erneut abgelehnt, seine vor zwei Wochen eigenmächtig erweiterten Machtbefugnisse wieder zu beschneiden und auf dem geplanten Datum, dem 15. Dezember, für das Verfassungsreferendum beharrt. Zugleich hatte er der Opposition für Samstag einen Dialog angeboten.
Führende Oppositionelle lehnten das Gesprächsangebot des islamistischen Präsidenten ab. Die Jugend-Revolutionsbewegung 6. April und mehrere massgebliche Oppositionsparteien erklärten, sie wollten darauf verzichten. Es sei nur ein PR-Gag.
In der Nacht zum Donnerstag waren beim Präsidentenpalast in Kairo bei Zusammenstössen zwischen Mursis islamistischen Unterstützern und seinen überwiegend säkularen Gegnern sieben Menschen getötet worden.
Auch am Freitag kam es vielerorts im Land zu Gewalt. Mindestens elf Menschen wurden verletzt. Gemäss dem Nachrichtensender Al-Arabija wurden in zwei Städten Einrichtungen der Muslimbrüder angegriffen.
Verschwörung, Verschwörung
Der Vorsitzende der Partei der Muslimbrüder, Saad al-Katatni, bezeichnete die Proteste als „Verschwörung“, bei der Überbleibsel des alten Regimes aktiv seien. Gleichzeitig betonte er, seine Bewegung sei bereit, „alle Vorschläge“ für eine Beilegung der Krise anzuhören.
Oppositionelle fühlen sich durch Mursi an die Ära Mubarak erinnert. Sie warfen Mursi vor, er habe in seiner Rede am Donnerstag die gleichen Klischees und Verschwörungstheorien bemüht wie sein Vorgänger.