Grenzen haben den Filmemacher Eran Rikli schon immer gestört. Besonders die in den Köpfen. Mit dem Erfolgs- Roman «Dancing Arabs» des arabischen Israeli Sayed Kashua riskiert er eine weitere Grenz-Begehung. Sayed Kashua hat kürzlich verlauten lassen, er überlege sich, Israel zu verlassen. Grund: Rassismus.
«Dancing Arabs» ist die Liebesgeschichte von Eyad und Noemi. Der israelische Filmregisseur Eran Rikli setzt sie mit leisem Humor aus Episoden zusammen, die das Leben in einem Grenzland zeigen. Er besucht die Grenzen der Menschen – in den Köpfen, und folgt dem Autor des Buches «Dancing Arabs», Sayed Kashua, in seine Welt – ein anderes Israel – mit Respekt, wie er im Interview mit der TagesWoche betont.
Was in der englischen Übersetzung des Titels als «Tanzende Araber» angekündigt wird, heisst im Französichen «Mon Fils». Das erinnert an einen Film, der uns vor kurzem eine ähnliche Geschichte erzählte, von Lorraine Lévy. In ihrem Film «Le Fils de l’autre» werden ein Israeli-Kind und ein Palästinenserkind nach der Geburt im Spital verwechselt. Erst als Erwachsene bemerken die beiden Verwechselten den Irrtum: Jüdisch, respektive palästinensisch erzogen, gehören sie den falschen Familien und dem falschen Land an, und dessen Gedankenwelt – und stossen nun auf allerlei Grenzen im Kopf.
Bilder einer Kindheit im gelobten Land
Ein ähnliches Verfahren nutzt Rikli. Er sucht seine Bilder auf der Westbank. Dort leben Araber im gleichen gleichen Staat wie Juden. Dort trennt sie keine Grenze – nur Vorurteile. Aber sie sind auch im Alltag miteinander verbunden. Der Kabelsalat zwischen den Häusern spricht zwar von der Vernetzung der Menschen. Die ersten Bilder machen das klar: Hier kann man auch auf Zuruf miteinander reden.
Doch auch wenn alle miteinander verbunden sind, so trennen sie Welten. Eyad hilft als Kind eine Fernsehantenne zu richten und – fällt. Das ist der Anfang des Traumes von Eyad.
Eyads Vater ist nämlich Kommunist. Damit gehört er zu jenen Israeli, die gegen den Krieg sind. Aber sein Sohn Eyad verwechselt da was: Er träumt davon, dass sein Vater ein Held sei. Er glaubt sogar, sein Vater sei ein Terrorist, und lässt sich selbst mit Tatzen nicht von seiner Meinung abbringen: Terrorist. Wie findet etwas, was sich so heftig in einem kindlichen Kopf festgesetzt hat, aus dem Kopf auch wieder heraus?
Eran Rickli am Filmfestival in Locarno (Bild: Betschart)
Als Eyad Schüler in der besten Schule auf der Westbank (es ist eine jüdische Schule) wird, ist er dort von jüdischen Jugendlichen umgeben. Eyad sieht erst einmal seine Vorurteile über andere bestätigt. Er wird gemobbt.
Romeo und Julia auf der Westbank
Doch eine Mitschülerin interessiert sich für den schüchternen palästinensischen Jungen, Noemi. Noemi ist Jüdin. In Noemi findet Eyad eine Israeli, die ihn vorurteilsfrei sieht: Er verliebt sich ihn sie. Sie verliebt sich in ihn. Die alte Erzählung von Romeo und Julia beginnt, in einem neuen Kleid: Noemis Eltern gehören zu jenen Israeli, die für den Krieg sind. Noemis Eltern mögen Araber nicht.
Das Versteckspiel, das nun folgt, zeigt die Vorurteil, mit dem die Kulturkreise sich voneinander abgrenzen. Das Versteckspiel ist auch der Anfang einer Liebe mit weitreichenden Folgen. Um die Liebe zu Noemi zu retten, verlässt Eyad die jüdische Schule, und findet einen neuen Freund: Jonathan.
In Jonathan und Eyad finden zwei Aussenseiter zusammen: Eyad redet mit Jonathan über Frauen, er hilft Jonathans Mutter bei der Pflege, er schiebt Jonathan im Rollstuhl zur Schule, er hält zu Jonathan auch Kontakt, als er die Schule verlässt. Bis es zur – scheinbar – auf der Hand liegenden Wende kommt.
Beim Lachen öffnet sich nicht nur der Mund – sondern auch etwas im Kopf
«Dancing Arabs» ist eine Liebesgeschichte. Es ist aber auch ein Film über Identität und Grenzen im Kopf. Eran Rikli lässt seinen Blick mit Humor über eine unerklärliche Front schweifen, jene in den Köpfen, und endet mit einem bitteren Lächeln: Als Eyad am Schluss des Filmes am Steuer eines Autos durch die Stadt rast, ist alles möglich. Die Entscheidung ist überraschend und doch tief in der Wirklichkeit beobachtet: Es scheint einfacher, mit einem neuen Pass zu leben, als mit neuen Gedanken. Eyad, mit dem neuen Pass, lebt als arabischer Israeli das Leben eines an den Rollstuhl gebundenen jüdischen Israeli weiter. Jetzt gibt uns auch der Titel sein Geheimnis preis.
Das Interview mit Eran Rikli folgt morgen – in den «Lichtspielen».
Der Film läuft in den Kult-Kinos.