Auf den Spuren der Flösser

Für einheimische Wandervögel ist das Baselbiet oder der Schwarzwald meistens das naheliegendste Ziel. Aber auch ein Ausflug in den Nachbarkanton Aargau lohnt sich.

Auf dem Heimweg der flösser durch den Aargauer Jurapark. (Bild: Stefan Bohrer)

Für einheimische Wandervögel ist das Baselbiet oder der Schwarzwald meistens das naheliegendste Ziel. Aber auch ein Ausflug in den Nachbarkanton Aargau lohnt sich.

Unser Ausgangspunkt ist Laufenburg, gar nicht so weit weg – mit der S-Bahn ab Basel gut 40 Minuten Fahrzeit und, weil immer noch innerhalb des Tarifverbunds Nordwestschweiz, auch günstig (mit Halbtax Fr. 6.80). Allerdings fahren wir nicht nach Laufenburg, weil es ein hübsches mittelalterliches Städtchen am Rhein ist, sondern weil dort der «Flösserweg» beginnt.

Empfohlen hat ihn ein Kollege aus dem Baselbiet. Erstaunlicherweise. Denn eigentlich, so schien uns immer, setzt er zum Wandern nur ungern einen Fuss über die Baselbieter Grenze. Aber wir stellten eben die Bedingung, dass es mindestens eine Beiz auf der Strecke haben müsse, eine schöne, gemütliche Beiz mit Garten. Da begann er zu studieren: Die Einkehrmöglichkeiten für Wanderer seien im Baselbiet nicht gerade berauschend … und so kam er auf die Idee mit dem «Flösserweg» im Jurapark Aargau.

Von der Schweiz nach Holland

Der «Flösserweg» führt von Laufenburg nach Stilli an der Aare und heisst so, weil auf diesem Weg früher die Flösser zu Fuss nach Hause zurückkehrten, nachdem sie ihre Holzstämme von Stilli aus via Aare und Rhein nach Laufenburg hinuntergetrieben hatten. Die Flösserei, so heisst es im Prospekt, sei bis Ende des 19. Jahrhunderts für viele Gemeinden in dieser Gegend ein bedeutendes Gewerbe gewesen.

Der enorme Holzbedarf in Holland für Schiffs- und Städtebau habe nicht mehr aus dem Schwarzwald und dem Elsass gedeckt werden können, und deshalb wurden über das Einzugsgebiet von Reuss, Limmat und Aare grosse Mengen von Tannen, Kiefern und Eichen den Rhein hinunter in die Niederlande geflösst. Wer den Roman «Letzte Nacht in Twisted River» des amerikanischen Schriftstellers John Irving gelesen hat, kann sich vorstellen, was für ein harter und gefährlicher Job die Flösserei war. Und wie in Irvings «Twisted River» ging die Flösserei auch in den Schweizer Flüssen zu Ende, als Eisenbahn und immer besser ausgebaute Strassen den Holztransport übernahmen.

Mehr über die hiesige Flösserei erfährt man durch die Tafeln, die entlang der knapp 20 Kilometer langen Strecke aufgestellt sind. Die erste, quasi die Begrüssungstafel für die «Flösserweg»-Wanderer, steht hinter dem Bahnhof Laufenburg, gleich neben dem Gebäude der Aargauer Kantonalbank. Von da gehts Richtung Stadtturm, durch das Tor hindurch in die Altstadt und über eine Treppe zum Rheinufer hinunter. Nach den Gassen der Altstadt verläuft der Weg mehr oder weniger dem Rhein entlang, am Laufenburger Schwimmbad vorbei, wo allerdings kaum Badegäste auszumachen sind. Gemäss Wetterbericht soll im Laufe des Tages die Sonne irgendwann auftauchen, aber noch ist sie hinter dicken Wolken versteckt.

Wochenendparadies am Waldrand

Wir sind die einzigen Wanderer weit und breit. Wandern ist vielleicht etwas übertrieben, richtige Wanderer würden das wohl als lockeren Spaziergang bezeichnen. Nachdem wir beim Rheinsulzer Ried das Flussufer verlassen haben, gibt es zwar hin und wieder eine Steigung zu bewältigen, aber alles in allem ist der Weg angenehm. Und abwechslungsreich: In den Wald hinein und wieder hinaus, Feldern und Wiesen entlang, immer wieder mit Aussicht auf die Hügel des Aargauer Juras.

Als wir im lauschig-verschlafenen Dorf Mettau ankommen, hat die Sonne die meisten Wolken vertrieben. Sie lässt die Farbenpracht in den sommerlich blühenden Gärten der Einfamilienhäuser leuchten. Kein Mensch ist zu sehen. Es ist Mittagszeit. Auf dem Vorplatz eines Bauernhofs döst – in ihrer ganzen Länge ausgestreckt – eine schwarz-weiss gefleckte Katze. Der über weite Strecken geteerte Weg verwandelt sich nun, wieder im Wald, in eine Naturstrasse. Ebenso entlang einem Getreidefeld, die prallen Ähren schwanken im sanften Wind.

Ein paar Schritte und Minuten später tauchen hinter Maschendrahtzaun und dichtem Gebüsch Wohnwagen auf. Eher kleine Einfamilienhäuser als Wohnwagen, mit geplättelten Vorplätzen, Gärtchen und Mäuerchen. Sie scheinen seit Jahren nicht mehr bewegt worden zu sein. «Herzlich willkommen auf dem Camping Waldesruh» heisst es auf einem Tor und «Durchgang Flösserweg». Es ist still, die Wohnwagen sind verrammelt. Das kleine Paradies ist wohl ein Wochenendparadies.

Die Beiz als Belohnung

Am Ausgang des Campingplatzes verlaufen wir uns kurz, anstatt runter ins Dorf Wil gehen wir hoch zu den Bauernhöfen. Egal, ist ja auch ein Wanderweg und der Blick auf die Landschaft weit. Nach diesem Umweg finden wir unten in Wil den Anschluss an den «Flösserweg» wieder; nach dem Dorf gehts Richtung Rebberge, dann an einer Wiese mit Kühen vorbei, die uns neugierig angucken; weiter entlang der Strasse auf einem Wiesenweg nach Hottwil. Dort, im Gasthaus Bären, wollen wir uns belohnen. Es ist nun früher Nachmittag, wir sind durstig und hungrig.

Es ist eine Landbeiz wie aus dem Bilderbuch: ein behäbiges, blumengeschmücktes Haus, erbaut Mitte des 16. Jahrhunderts, wie wir auf einem Schild lesen. Bevor wir uns in den Garten setzen, schauen wir uns kurz drinnen um: eine Gesellschaft älterer Frauen und Männer, die satt und zufrieden wirken. Der Blick in die Speisekarte weist denn auch auf eine gute Küche hin: Saisonal und regional, die Auswahl nicht zu gross und nicht zu klein, die Preise im mittleren Bereich. Vom Festmenü bis zum einfachen Plättli. Für uns «Flösserweg»-Wanderer ist das «Flösserplättli» (20.50) ebenso gesetzt wie das einheimische «Flösserbier» (6 Franken) für meinen Begleiter und für mich ein Gläschen Sauvignon blanc (5.50) aus Hottwiler Reben.

Apropos Reben, der «Flösserweg» würde nun weiter in die Rebberge führen, sagt die Wirtin. Eine sehr schöne Strecke sei das. Doch für uns ist hier Endstation, wir müssen zurück nach Basel. Den Rest bis nach Stilli machen wir ein anderes Mal. Bestimmt. Denn, und das ist ein Vorteil dieses Wegs: Man kann ihn – weil er von mehreren Postauto-Haltestellen aus zugänglich ist – in Etappen gehen.

Wer jetzt gluschtig auf einen Besuch im Hottwiler Bären ist, sollte das bald tun – oder er muss ihn auf später verschieben: Das Gasthaus Bären ist vom 22. Juli bis 8. August 2013 ferienhalber geschlossen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.07.13

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