Nach dem Tötungsdelikt Marie fordert die Justiz-Aufsichtskommission des Waadtländer Grossen Rates ein Verfahren gegen die Richterin, die den Hausarrest des Täters genehmigt hatte. Die Justiz bedauert die «persönlichen Attacken» und kritisiert die Kommission scharf.
Die Kommission kam zum Schluss, dass die Richterin des Straf- und Massnahmenvollzugsgerichts die Gefährlichkeit des vorbestraften Vergewaltigers und Mörders weder berücksichtigte noch erwähnte, obwohl sie Kenntnis des Falls und der Person hatte.
Sie zeigte sich zudem überrascht, dass diese Lücke dem mit der externen Untersuchung beauftragten Experten, des ehemaligen Solothurner Oberstaatsanwalts Felix Bänziger, nicht aufgefallen war, die Kommission in einer Mitteilung festhielt.
Das Tötungsdelikt sei nicht auf ein System zurückzuführen. Es sei nach einem Fehler einer Person erfolgt, der Richterin des Straf- und Massnahmenvollzugsgerichts, sagte Jacques-André Haury, Grossrat der Grünliberalen und Präsident der Aufsichtskommission. Das Tötungsdelikt unterscheide sich in dieser Hinsicht deutlich vom Mord an einer Sozialtherapeutin in Genf.
Forderung an Justiz nicht verbindlich
Die Kommission setzt sich aus Mitgliedern des Waadtländer Kantonsparlaments zusammen und beaufsichtigt die Führung und den Betrieb der Justiz. Sie führte sowohl mit Bänziger sowie mit Vertretern der Justiz Gespräche.
Die Forderung, dennoch ein Administrativverfahren zu eröffnen, sei eine Premiere für die Kommission, sagte Haury. Der Präsident des Kantonsgerichts sei allerdings nicht daran gebunden und könne machen, was er wolle.
Kantonsgericht kritisiert Kommission scharf
Das Kantonsgericht bedauert die «ungerechtfertigten persönlichen Attacken», welche von Grossrat Haury verbreitet worden seien, wie es am Freitagnachmittag mitteilte. Das Kantonsgericht kritisiert die Kommission scharf.
Die Kommission habe zwei Entscheide der Richterin kommentiert, sei aber von Gesetzes wegen nicht dazu befähigt, Entscheide der Justiz zu kommentieren. Das Kantonsgericht liefert auch gleich die entsprechende Stelle im Gesetz: «Die Oberaufsicht hat die Rechtsprechung der Justizbehörden nicht zu beurteilen.»
Zum Fall habe es bereits eine Administrativuntersuchung gegeben, hielt das Kantonsgericht fest. Danach sei man zum Entschluss gelangt, dass keinem der Beteiligten eine Fehlverhalten vorzuwerfen sei.
19-Jährige entführt und getötet
Die 19-jährige Marie war am 13. Mai in Payerne VD von einem 36-jährigen Mann entführt worden. Dieser wurde am Tag darauf verhaftet und führte die Polizei zur Leiche der Frau in einem Wald bei Châtonnaye FR .
Beim Täter handelt es sich um einen vorbestraften Mörder, der sich im Hausarrest befand. Der Mann hatte 1998 seine damalige Ex-Freundin entführt und getötet. Die Strafvollzugsbehörde hatte im August 2012 entschieden, dass der Mann den Rest der Strafe im Hausarrest absitzen darf.
Ende November schlug jedoch die Bewährungshilfe Alarm, weil der Mann Morddrohungen aussprach und pornographische Absichten im Internet äusserte. Der Hausarrest wurde darauf abgebrochen und der Mann wieder ins Gefängnis gebracht.
Er legte dagegen Rekurs ein. Das Straf- und Massnahmenvollzugsgericht erteilte diesem Rekurs am 14. Januar aufschiebende Wirkung, worauf der Mann wieder in Hausarrest kam. Bänziger hatte diesen Entscheid als «vertretbar» bezeichnet.