Die Streichung der Basler Behinderten-Fachstelle provoziert im politischen Basel kaum Widerspruch. Das ist irritierend. Warum wehrt sich die Ratslinke nicht gegen die Abbaupläne von Guy Morin und setzt sich für die Rechte der Behinderten ein?
«Ein Schlag ins Gesicht der Behinderten» – so lautete der Titel meines TagesWoche-Kommentars zur Streichung der Fachstelle von Menschen mit einer Behinderung. In der Zwischenzeit habe ich mich weiter mit der Thematik beschäftig und ein paar Gespräche mit Politikerinnen und Politikern geführt. Ich bin verunsichert und möchte dies kurz erläutern.
Bis anhin war ich der Meinung, dass jeder Verwaltungsentscheid – und vor allem ein Entscheid von dieser Tragweite – in einem Gremium getroffen und rechtlich sauber begründet werden müsse. Ausserdem sollte der Entscheid schriftlich vorliegen und den Betroffenen rechtlich Gehör und zugesicherte Einspruchsmöglichkeiten anbieten. Das wäre für mich eine saubere juristische Situation gewesen.
Wo bleibt das demokratische Verständnis?
Im vorliegenden Fall scheint dies nicht der Fall zu sein. Das irritiert mich. Politische Freunde sagen mir, dass dies grundsätzlich möglich, aber aussergewöhnlich sei.
In meinem demokratischen Verständnis hat mich die Angelegenheit erschüttert, weil ich wusste, dass die Stelle ursprünglich aus einem demokratischen Dialog und aus einem partizipativen Grundverständnis heraus sowie unter Mitwirkung verschiedener Fachpersonen entstanden ist.
Ich rekapituliere kurz: Im Jahre 2000 beauftragte der Basler Regierungsrat das Erziehungsdepartement, ein Leitbild «Erwachsene Menschen mit einer Behinderung» zu erstellen. Zu diesem Zeitpunkt war das Thema Behinderung im Erziehungsdepartement angesiedelt.
Verwaltungsinterne und -externe, betroffene und nicht betroffene Fachpersonen verfassten als Arbeitsgruppe das Leitbild. Der jetzige Stellenleiter Martin Haug war damals Mitglied dieser kleinen Gruppe. Im Jahre 2003 genehmigte der Regierungsrat das Leitbild und beauftragte das Erziehungsdepartement, für die Umsetzung des Leitbilds die Stelle eines Beauftragten für die Gleichstellung und Integration von Menschen mit Behinderung zu schaffen. Am 1. September 2003 nahm Martin Haug als neu gewählter und gesamtschweizerisch erster Beauftragter für die Gleichstellung und Integration von Menschen mit Behinderung seine Arbeit auf. Die Stelle wurde zeitlich unbefristet geschaffen.
Leitbild ist noch immer hoch aktuell
Das Basler Leitbild ist ein sehr konkretes «Rezeptbuch» für den Abbau von Hindernissen in verschiedenen Lebensbereichen für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. Auch nach zwölf Jahren ist das Leitbild hoch aktuell geblieben. Im Rahmen der Verwaltungsreorganisation wurde die Fachstelle im Februar 2009 ins neu geschaffene Präsidialdepartement integriert, wo alle Querschnittsaufgaben der kantonalen Verwaltung angesiedelt sind. Sie wurde Teil der Abteilung «Gleichstellung und Integration», in der alle Gleichstellungsthemen gebündelt wurden: Gleichstellung von Frauen und Männern, Gleichstellung von Migrantinnen und Migranten, Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.
Im Sommer 2011 wurde diese Abteilung durch Guy Morin wieder aufgelöst. Die «Gleichstellung von Frauen und Männern» wurde wieder eine eigenständige Abteilung, die anderen zwei Gleichstellungsthemen wurden in der Abteilung «Kantons- und Stadtentwicklung» als Fachstelle «Diversität und Integration» und Fachstelle «Gleichstellung und Integration von Menschen mit Behinderung» angesiedelt.
Bei der Auflösung gab es einen ersten Versuch von Guy Morin, die Fachstelle zu streichen und das Thema «Behinderung» in die Fachstelle «Diversität und Integration» zu integrieren. Allerdings wurde dieses Vorhaben von der Regierung abgelehnt, die entschied, dass das Thema der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung mit einer eigenen Fachstelle vertreten sein müsse.
Jetzt, nach zwölf Jahren erfolgreichem Wirken, wird die Stelle durch einen Verwaltungsentscheid unter Ausschluss und ohne Anhörung von Fachpersonen und den betroffenen und involvierten Verbänden gestrichen. Es ist ein einsamer präsidialer Entscheid, der im Windschatten einer Sparübung vollzogen wird – ohne Auswertung und ohne Erfolgsbilanz. Das erschüttert mein demokratisches Verständnis.
Welche Rolle spielt der Grosse Rat?
Welche Rolle spielt zum Beispiel der Grosse Rat? Politikerinnen und Politiker bestätigen mir im Gespräch, dass sie diesen Entscheid zähneknirschend zur Kenntnis nähmen und ihnen die Hände gebunden seien. Sie erwägen zwar politische Schritte, sehen aber, dass ihr Instrumentarium (Motion, Interpellation usw.) nicht oder viel zu langsam greift. Die politischen Instrumente sind offensichtlich stumpf.
Im Rahmen der Spardebatte könnte allenfalls interveniert werden. Da das Paket aber über 70 Sparpositionen aufweist, sind die Chancen für eine Intervention allerdings gering. Bei der eigentlichen Budgetdebatte, die erst im Dezember stattfindet, könnte der Betrag von 160’000 Franken, so viel kostet die Stelle, wieder ins Budget eingestellt werden. Theoretisch. Aber niemand glaubt daran. In der Zwischenzeit hat das Präsidialdepartement den jetzigen Stellenleiter Martin Haug bereits verabschiedet.
Ich verstehe nicht, wieso die Politik hier nicht regiert. Irgendwo müsste doch, zumindest bei den Ratslinken, noch ein Restposten an Verständnis für die Behinderten und ihre Anliegen vorhanden sein. Ist man plötzlich bereit, alle Errungenschaften der letzten zwölf Jahre preiszugeben? Wo sind sie, die fortschrittlichen Kräfte, wo ist die Solidarität für die Schwachen und Benachteiligten?
Steuergeschenke auf dem Buckel der Armen
Ich erinnere: Das 70-Millionen-Sparpaket ist, so sagt man zumindest, nötig, weil wir mit der Unternehmenssteuer II den Unternehmen und Unternehmensbesitzern Steuergeschenke und Steuervergünstigungen zugestehen. Das kann man doch nicht auf dem Buckel der 25’000 Basler Behinderten abwickeln. Politisch kann ich diese Kröte nicht schlucken.
Es fällt mir auch schwer zu akzeptieren, dass die Ratslinken und ihre Verbündeten BastA! und Grüne auf Tauchstation gehen und diesen Sparantrag lediglich mit Bedauern zur Kenntnis nehmen.
Da müsste mehr kommen! Da müssten zumindest die Grünen ihren Regierungspräsidenten gelegentlich wachrütteln und ihm die Tragweite seiner Entscheide erläutern.