Winterlicht, stille Plätze und keine anderen Touristen, die einem ständig ins Bild latschen. Die Stadt der Päpste lässt sich ausserhalb der Saison auf ausgedehnten Foto-Streifzügen entdecken und eignet sich als Basis für Entdeckungen im Umland.
Avignon im Februar? Ohne die Faszination des Theaterfestivals im Juli in Abrede stellen zu wollen, wage ich diese Reiseempfehlung. Zugegeben, es kann im Winter richtig regnen. Es gibt auch die Schneevariante, die ist so schön wie selten. Sehr viel wahrscheinlicher sind zwei andere Wetterszenarien: Entweder bläst der Mistral den Himmel frei und dieser strahlt so blau, dass es eine Wohltat ist für wintergeplagte Mitteleuropäer. Oder aber die Sonne scheint schüchtern zwischen den Wolken hindurch und lässt im Ergebnis eine Art Sfumato-Effekt entstehen. Dieses Winterlicht hat mich in seinen Bann geschlagen.
Das eigentliche Argument aber für eine Reise nach Avignon in diesen Wochen ist die Ruhe. Dort, wo in den heissen Monaten die Sonnenschirme der Strassencafés direkt aneinanderstossen, wo sich Touristengruppen durch die Gassen schieben und beim Fotografieren ständig Leute ins Bild latschen, stehen im Winter still und stumm und stolz die alten Gebäude und lassen sich bereitwillig betrachten. Nichts lenkt ab, der Blick ist frei fürs Wesentliche.
Wer zuerst den Ohrwurm aus Kindertagen ergründen will (l’on y danse, l’on y danse), beginnt seinen Streifzug am Rhône-Ufer. Dort steht der Pont Saint-Bénézet und endet nach vier hübschen Bögen abrupt über dem Fluss. Von der Rhône aus gesehen wirkt Avignon trutzig, der Papstpalast dominiert die Silhouette. Unmissverständlich gibt die Stadt zu verstehen, dass sie einst ein Zentrum der Macht war. Zwischen 1309 und 1423 residierten hier zuerst sieben Päpste und später zwei von Rom nicht anerkannte Gegenpäpste. Palast und Altstadt umschliesst die über vier Kilometer lange Stadtmauer. Der Ausdruck für all das, was innerhalb der Mauern liegt, lautet bei den Einheimischen «intramuros». Wer dort wohnt, wird ein bisschen beneidet.
Mit der Kamera loszuziehen ist ein Zeitvertreib für mehr als nur einen Nachmittag. Der Blick durch den Sucher lenkt die Aufmerksamkeit auf die Architektur der Stadt, auf ihre mittelalterlichen Bauten, auf ihren italienischen Charme. In sanftes Licht getaucht präsentiert sich die Stadt wie auf Fotos aus vergangenen Zeiten.
Strassen, Paläste und Kirchen ergeben eine Komposition aus Sepiatönen, nur die bunten Fensterläden sorgen hier und da für rote und blaue Farbtupfer. Vielleicht eine Hommage an das Theater sind die Scheinfassaden. An nicht nur einer Hausmauer haben die Avignonesen dort, wo die Fenster fehlen, selbst welche auf den Putz gemalt. Hinaus blicken Gaukler, Tänzer, Musiker.
Die Rue des Teinturiers ist die alte Strasse der Färber und der Textil-Manufakturen. Vom Canal de Vaucluse nur einen Sprung über die Strasse entfernt, liegen die ehemaligen Werkstätten mit ihren Ladenfenstern. Heute reihen sich dort Cafés und kleine Theater aneinander, doch im Winter haben auch diese geschlossen. Nur die dick bemoosten Wasserräder, mit denen einst die Maschinen angetrieben wurden, drehen sich gemächlich plätschernd vor sich hin. Und die Platanen mit ihren dicken, scheckigen Ästen und blätterlosen Zweigen malen ihre Schatten auf die Fassaden.
Schön spazieren lässt es sich im Jardin des Doms, der auf einem Felsmassiv über der Rhône angelegt wurde. In den Beeten blühen die letzten (oder die ersten?) Stiefmütterchen, eine Entenfamilie schwimmt auf einem kleinen Teich, ein paar verliebte Paare sitzen auf den Bänken, der Blick schweift über die Dächer der Stadt, die Rhône und die Hügellandschaft bis zum Mont Ventoux.
Innehalten und verweilen – vielleicht geht das im Winter in einer südfranzösischen Sommerstadt besonders gut. Ich jedenfalls habe die zwei Grad in der Sonne genossen. Ob ich im Juli noch mal wiederkomme, kann ich immer noch überlegen.
- Sparen: Wer mit dem Auto aus der Schweiz kommt, fährt über die A7, die Autoroute du Soleil. Entspannter reist es sich mit der Bahn. Von Basel aus brauchen die Züge etwa fünf Stunden. Beim Umsteigen in Mulhouse oder Dijon kann man sich mit dem ersten Croissant schon auf den Urlaub einstimmen. Bonjour Frankreich!
- Schlafen: Gut und günstig übernachten lässt es sich in der Jugendherberge der YMCA. Sie liegt am anderen Ufer der Rhône und gehört schon zu Villeneuve-les-Avignon. Schöner Blick von der Terrasse, nettes Personal, ausserhalb der Saison braucht man Trubel kaum zu fürchten. Chemin de la Justice 7.
- Schlucken: Ein echter Treffpunkt ist das Café «Françoise» gegenüber des Konservatoriums an der Place Pie. Rachel, ihr Bruder Emmanuel und dessen Frau Odile kümmern sich herzlich ums Wohl ihrer Gäste, die stundenlang dort bleiben dürfen, ohne dass sie zu irgendwelchen Bestellungen gedrängt würden. Es gibt Lesungen, Vorträge, Bastelabende und ein Bibelcafé, am Montagnachmittag trifft sich eine Runde von Omas zum Stricken. Rue du Général Leclerc 6.
- Schlecken: Süsse und herzhafte Kuchen sind die Spezialität des kleinen Bistro «Ginette & Marcel» und werden dort von zwölf Uhr mittags bis Mitternacht serviert. Die salzigen Tartines kommen aus dem Ofen auf den Tisch, zu den süssen gibt es bunte Bonbons dazu. So viel kindliches Vergnügen muss sein. Place des Corps Saints 27.
- Schlemmen: Ein Anlass, um abends einen Abstecher nach Villeneuve-les-Avignon zu unternehmen ist das Restaurant «Aubergine», direkt an der Place Jean Jaurès gelegen. Zwischen Foie Gras und Pain Perdu verstecken sich auf der Speisekarte vegetarische Burger und Nutella-Panini. Regelmässig Live-Musik. Rue de la République 15.
- Schlendern: Avignon eignet sich perfekt als Basis für Erkundungstouren in der Gegend. Zu Fuss ins alte Künstlerdorf Les Angles. Mit dem Auto zum Beispiel zum Pont du Gard, in die Ockerbrüche von Roussillon oder nach Fontaine-de-Vaucluse (wo die Quelle im Winter ebenfalls viel beeindruckender anzuschauen ist als im Sommer). Mit dem Zug nach Arles, nach Marseille oder zum Wandern an die Côte Bleue.