B.B. King ist im Alter von 89 Jahren verstorben. Sein Erbe zeigt: einen wie ihn wird der Blues kaum je mehr haben. Eine Auswahl, ein Nachruf.
Der Bluesboy und seine Lucille, sie sind gegangen. Mit B.B. King starb die bis in seine letzten Tage aktive Gallionsfigur des Blues. King, geboren mit dem Vornamen Riley, hatte die Biografie, aus der sich der Blues erzählen und erschaffen liess – geboren im Mississippi-Delta, geschindet auf den Baumwollfeldern, geprägt vom Gospel, den Mutter und Grossmutter Sonntag für Sonntag im Kirchenchor sangen.
Prediger wollte der Junge zuerst werden, und ein Prediger war sein erster Lehrer der Gitarre. 1925 geboren, musste er fast 40 Jahre alt werden, bis er die ihm zustehende Anerkennung erhielt. Als in den 1960er-Jahren der Blues salonfähig wurde, und das hiess damals: bis sich das weisse Publikum für ihn zu interessieren begann, trat der King aus dem Schatten. Bisher nur die heimliche Referenzgrösse jener, die den Blues zu huldigen meinten und dabei doch nur verkündeten, was er bereits zuvor geschaffen hatte, galt B.B. King seither als der Grandseigneur des Genres.
Er war der Liebhaber seiner Gitarre
Sinnbildlich dabei die kolportierte Beziehung zur Gitarre – «Lucille» nannte er sie, welches Modell der Marke Gibson er auch spielte. Und wie ein Liebhaber behandelte er sie auch: er traktierte sie nicht mit der Virtuosität des Sportgitarristen, der alle Saiten zeitgleich in Schwingung bringt, sondern mit einer neugierigen Behutsamkeit, als berühre er sie zum ersten Mal.
Claude Nobs‘ Jazzfestival in Montreux wurde ihm zur zweiten Heimat, wo er bis ins hohe Alter praktisch jedes Jahr auftrat – und machen konnte, was er wollte. Man war ihm stets wohlgesinnt. Der König verdiente Huldigung allein durch seine Präsenz. Sein Thron ist nun leer, und es ist nicht damit zu rechnen, dass er jemals wieder in Besitz genommen wird. Was bleibt, ist sein Spiel. Eine Rückschau.
1. «Three O’Clock Blues»
Das Urthema des Blues: der einsame Mann, der gefallene Sünder, dem das Leben davon ist, und am Ende auch die Frau. So liegt er morgens um drei noch wach im Bett, wartet auf sein Baby, die nicht mehr kommen wird. Der «Three O’Clock Blues», Kings neunte Single, war sein erster Hit – und zwar derart gross, dass er in den Rhythm’n’Blues-Charts gleich während fünf Wochen von der Spitze grüsste. Den Titel hat er seither tausende Male live gespielt, aber die Originalaufnahme aus dem Jahr 1951 sticht noch immer heraus. Weit nach vorne gemischt ist Kings Gitarre, als wolle sie bereits in dieser Frühform verkünden, dass mit diesem damals noch jungen Burschen ein neues Kapitel im Blues aufgeschlagen wird. Der Sänger klagt mit seiner durchdringenden Stimme, «Lucille» antwortet ihm mit einem schneidenden Kommentar – ein Duett, das sich bewähren sollte.
2. «Everyday I Have The Blues»
Von diesem Standard aus den 1930er Jahren gibt es andere Versionen, die mehr Kasse machten und, man darf es sagen, den einen oder anderen Zacken raffinierter arrangiert waren (wie etwa diese hier [https://youtu.be/cOuCvEMZRbo] vom Count Basie Orchestra). Aber Kings Version hat sich durch die jahrzehntelange Ackerei als Referenzmodell festgesetzt. Lange pflegte er seine Konzerte damit zu eröffnen, und dank dieser schwungvollen Nummer und ihren satten Bläsersätzen war die Stimmung jeweils gesetzt. Blues, tagein, tagaus – das darf auch mal wie hier eine zwinkernde Note haben.
3. «The Thrill Is Gone»
Sein grösster Hit, wenn man auf die Chartsplatzierungen schaut. «The Thrill Is Gone» schaffte es auf die 15 der Billboard Charts – in seiner eigenen Nische, der R’n’B-Liste, blieb diesmal nur der dritte Platz, was verdeutlicht, welche Breite das Genre mittlerweile hatte. Das war 1969, als er nicht mehr nur Blues-Kennern ein Begriff war. Geschrieben hat er das Stück, wie die meisten, denen er zu Glanz verhalf, nicht selbst, das Songwriting war weniger Teil seiner Brillanz: «The Thrill Is Gone» stammt von einem Broadway-Schauspiel aus den 30er Jahren, aber der Ton, den die Ballade trifft, verdeutlicht die melancholische Innerlichkeit des Blues in wenigen Zeilen: «The thrill is gone, baby, the thrill is gone away / You know you done me wrong, baby, and you’ll be sorry someday.» Und bitter weint die Gitarre des King.
4. «Sweet Sixteen»
Eine Ballade, die sinnbildlich für Kings Karriereverlauf der späten Fünfziger und frühen Sechziger stand: diese bittersüssen Nummern öffneten nicht nur das Herz, sondern auch den Zugang zu einem grösseren Publikum. Der Brass-Sektion entledigt, stand das Zusammenspiel zwischen Gitarre und Gesang wieder mehr im Vordergrund, die sich gegenseitig bis zum Siedepunkt hochkochen, wie diese eindrückliche Liveversion aus Kinshasa beweist. Der damalige Auftritt ist auch deshalb bedeutungsvoll, weil King zusammen mit anderen Blues-, Soul- und Funkmusikern des schwarzen Amerikas wie James Brown zum Tross des «Rumble in The Jungle», des legendären Schwergewichtskampfs zwischen Muhammed Ali und George Foreman gehörte. Inszeniert als Rückkehr an die Herkunftsgestade der afroamerikanischen Kultur, durfte der Blues, die Ursuppe der Black Music, nicht fehlen – und ebensowenig ihr König.
5. «Don’t Answer The Door»
Eine der dunkelsten Momente von B.B. King. Der Text trieft vor rachsüchtiger maskuliner Strafwut und verzweifelter Besitznahme, und die Musik dazu schafft in dieser Aufnahme von 1966 eine packende Illustration dazu. Knisternd die Orgel, beklemmend das im leeren Raum widerhallende Vibratospiel Kings, und sein Klagegesang geht so tief unter die Haut wie das Jaulen eines angeschossenen Wolfes. Welche Abgründe hinter dem destruktiv-obsessiven Text stecken, sind nicht überliefert. Aber so wie King sie singt, dürften sie ihm nicht gänzlich unbekannt gewesen sein.
6. «To Know You Is To Love You»
Im Original von Stevie Wonder und Syreeta Wright, hat King mit seiner Interpretation dieser über acht Minuten langen Midtempo-Ballade seinen Wirkungskreis spürbar erweitert. Den Soul, klar, liess er bereits früher aufblitzen, hier klingt jedoch im Groove wie im Gitarrenspiel diejenige Epoche der Siebziger durch, in der Funk und Disco eine heiss dampfende Schmelze in der Black Music entfachen. Auch wenn man Kings Lebensleistung, die so zarten wie wilden Liebkosungen mit Lucille, nicht genug schätzen kann – so hot wie in dieser Phase hier klang sein Blues kaum je.
7. «The Life Of Riley»
Wer eine derart reiche musikalische Biografie aufweist wie B.B. King, für den kann keine Liste an Sternstunden lange genug sein. Das US-Showbiz hat dafür seit längerem sein ideales Format gefunden: den Biopic. Im Gegensatz zu anderen Granden der Black Music wie James Brown oder Ray Charles ist das Leben des Riley King jedoch nicht von derart dramatischen Kurven gezeichnet, als dass sich daraus ein filmreifer Bogen spannen liesse. Was von ihm bleibt, ist die Musik – und dafür hat dieser Dokumentarfilm eine schöne Erzählform gefunden. Hier erzählen die grössten ihrer Zunft die Geschichte dieses Waisenknaben, der sein Leben dem Blues widmen sollte – und ohne den einige von ihnen kaum je ihre Karrieren in Gang gebracht hätten: Eric Clapton, die Stones, U2. Erzählt im salbungsvollen Brummton von Morgan Freeman.