Die EU-Kommission und Italiens Regierungschef Enrico Letta haben in Lampedusa eine offenere Haltung Europas in der Flüchtlingspolitik gefordert. Die Politik der geschlossenen Türen habe ihre Grenzen erreicht, erklärte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström in Strassburg.
«Der Notstand Lampedusas ist ein europäischer, Europa kann sich da nicht abwenden», verlangte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch bei seinem Besuch in Lampedusa. Beim jüngsten Flüchtlingsdrama vor der italienischen Mittelmeerinsel waren in der vergangenen Woche Hunderte Menschen ums Leben gekommen.
«Wir müssen hin zu Offenheit und Solidarität, zu geteilter Verantwortung und zu einer wirklich europäischen Antwort», forderte derweil EU-Innenkommissarin Malmström vor dem EU-Parlament in Strassburg. Gleichzeitig verlangte sie mehr Mittel für die EU-Grenzschutz-Agentur Frontex, um die Möglichkeit zu verstärken, «Schiffe in Seenot zu retten und Tragödien unmöglich zu machen».
Frankreichs Präsident François Hollande kündigte seinerseits Vorschläge für eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik an. Die Innenminister der EU-Staaten hatten sich am Dienstag zu keiner umfassenden Änderung durchringen können – nun soll das Thema beim nächsten Treffen der Regierungschefs Ende Oktober auf die Agenda.
Von Buh-Rufen empfangen
Barroso und Letta wurden auf Lampedusa von «Schande»-Rufen empfangen, Fischerboote liessen aus Protest Sirenen ertönen. Dutzende Insulaner forderten, die Politiker sollten das überfüllte Aufnahmezentrum von Lampedusa besuchen, um sich ein Bild von der prekären Lage der Migranten zu machen. Dem folgten diese dann auch – sie nahmen einen kurzen Besuch noch in ihr Programm auf.
Auch Letta nannte die Katastrophe von Lampedusa ein «europäisches Drama». Rom werde das Flüchtlingsproblem zu einem zentralen Anliegen machen und die EU um Hilfe bitten. Die Frage solle auf dem EU-Gipfel am 24. und 25. Oktober behandelt werden. Für die Opfer des Schiffbruchs werde es ein Staatsbegräbnis geben, kündigte Letta an. Am Mittwoch wurden weitere Leichen geborgen, die Zahl der Toten stieg nunmehr auf 302.
Italien entschuldige sich dafür, nur unzulänglich auf eine solche Tragödie vorbereitet gewesen zu sein, erklärte Letta weiter. Man werde über den Straftatbestand der illegalen Einwanderung diskutieren. Illegale Einwanderer werden in Italien im Regelfall sofort abgeschoben.
Barroso versprach weitere 30 Millionen Euro aus Brüssel, um Italien dabei zu unterstützen, den derzeitigen Flüchtlingsansturm zu bewältigen. Vor allem soll das Aufnahmezentrum auf der Insel besser ausgestattet werden. Rom will 190 Millionen Euro ausgeben, um den Flüchtlingsstrom zu meistern. Italien fühlt sich von seinen europäischen Partnern mit dem Problem alleingelassen.
Hilfsorganisation MSF kritisiert EU-Flüchtlingspolitik scharf
Schwere Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik kam erneut von Hilfsorganisationen. Ärzte ohne Grenzen (MSF) etwa forderte die Mitgliedstaaten der EU angesichts der Tragödie von Lampedusa auf, ihre Anstrengungen nicht ausschliesslich darauf zu konzentrieren, die Grenzen für Schutzsuchende abzuriegeln.
Stattdessen müsse die EU mehr unternehmen, das Leben dieser Menschen zu beschützen, sowohl durch verstärkte Rettungsmassnahmen im Meer als auch durch eine deutliche Verbesserung der Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen und Migranten, hiess es seitens von MSF am Mittwoch. Ärzte ohne Grenzen ist seit 2002 regelmässig auf Lampedusa tätig.