Bergell, 24. Juli 2002

Weil es so geruhsam war gestern Abend, bleibe ich einen Tag im Bergell, mache eine kleine Bergwanderung und mache mir Gedanken über den bald bevorstehenden Spaziergang durch die Po-Ebene.

Vis-à-vis von Plän Vest erhebt sich dei Sciora-Gruppe. (Bild: Urs Buess)

Weil es so geruhsam war gestern Abend, bleibe ich einen Tag im Bergell, mache eine kleine Bergwanderung und mache mir Gedanken über den bald bevorstehenden Spaziergang durch die Po-Ebene.

Es ist so angenehm hier in Montaccio, keine Hektik, ein kühles Lüftchen, und ich beschliesse, einen Tag zu bleiben und nochmals – ohne Gepäck – in die Berge hinaufzusteigen. In die Berge? Ach, ich hatte einfach Lust, Tombal und Plän Vest, die beiden Terrassen oberhalb Soglio zu sehen. Zog nach dem Frühstück los, vom Haus in Montaccio nach Parlongh, hinüber nach Soglio und dann wirklich steil bergan. Ein Weg, der zu einem grossen Teil aus Steinstufen besteht, den die früheren Bewohner angelegt haben,um stracks und wahrscheinlich mit Maultieren auf die oberen beiden Geländeterassen zu gelangen. Hagere Leute wohl zumeist, die mit einer unglaublichen Leichtigkeit hochgestiegen sein müssen.

Tombal also zuerst, wo ein paar Bauern Heu wendeten, dann – auf 1800 Meter Plän Vest. Kein Mensch war in diesem verlassenen Weiler. Ich blieb lange sitzen, dachte darüber nach, wie schön es sei, in dieser Gegend zu wandern, die Berge vis-à-vis, der berühmte Badile, der wie ein Schneidezahn in den Himmel ragte und links davon die Sciora-Gruppe. Und ich beschloss, auf dem Weg nach Sizilien die Po-Ebene nicht zu durchwandern, sondern im Zug zu durchqueren.

Ach, diese Po-Ebene

Vor zwei Jahren war ich durch die Po-Ebene gewandert, schöne Dörfer habe ich angetroffen, gewiss. Aber dieses Gehen durch eine endlos wirkende Ebene hat etwas sehr Ermüdendes. Nicht physisch ermüdend – aber etwas Langweiliges, Eintöniges. Und als ich den Entschluss gefasst hatte, die Po-Ebene zu umgehen, respektive mit dem Zug zu durchqueren, war mir schon wieder viel wohler. Ich freute mich auf die Weiterreise.

Ich eilte hinunter nach Montaccio, las herumliegende Zeitungen, schrieb Briefe, mähte das Gras im Garten von Lellas Mutter. Am Abend kam weiterer Besuch, wir sassen auf dem Strasse vor dem Haus, hatten Tisch und Grill hingestellt. Es störte niemand. Kein Mensch kam vorbei.  Wir schwatzten bis spät in die Nacht, mein Rucksack ist gepackt, ich bin gespannt auf Italien.

(Montaccio, 24. Juli 2002)

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