Bericht zu Berner Mietaffäre spricht von Systemversagen

Gutverdienende haben in Bern in verbilligten Stadtwohnungen gelebt. Kontrollen wurden – «höflich ausgedrück» – nicht vorangetrieben, sagt Lorenz Meyer. Der Bundesrichter hat das System untersucht.

Ex-Bundesrichter Lorenz Meyer untersuchte die Berner Mietaffäre (Bild: sda)

Gutverdienende haben in Bern in verbilligten Stadtwohnungen gelebt. Kontrollen wurden – «höflich ausgedrück» – nicht vorangetrieben, sagt Lorenz Meyer. Der Bundesrichter hat das System untersucht.

Das System des subventionierten Wohnens in der Stadt Bern hat versagt. Zu diesem Schluss kommt der mit einer Untersuchung beauftragte alt Bundesrichter Lorenz Meyer. Im Frühling war publik geworden, dass in rund der Hälfte der verbilligten städtischen Wohnungen keine Bedürftigen leben.

Zwar wären die Mieter verpflichtet gewesen, der Stadt Änderungen an ihren Einkommensverhältnissen zu melden, vorab natürlich, wenn sie den Anspruch auf ihre verbilligte Wohnung verloren hätten. Getan haben das aber offenbar längst nicht alle, denn wer hat schon Lust, freiwillig aus einer billigen Wohnung auszuziehen, wenn die nötigen Kontrollen fehlen.

«Die Kontrollen standen von Anfang an unter einem schlechten Stern, und wurden – höflich ausgedrückt – nie mit Engagement vorangetrieben», sagte Untersuchungsleiter Lorenz Meyer am Montag vor den Medien in Bern.

Das Instrument des Günstigen Wohnraums werde fundamental in Frage gestellt, wenn keine nachträglichen Kontrollen stattfänden und so über längere Zeit Personen von öffentlichen Geldern profitierten, die ihnen nicht zustünden.

Meyer liess zwar gelten, dass es immer wieder nachvollziehbare Gründe gab, warum die Kontrolle im vergangenen Jahrzehnt unterblieben. Doch insgesamt müsse man von einem Systemversagen sprechen, wurde Meyer deutlich.

Kein Köpferollen

Zu einem Köpferollen führt die Berner Mietaffäre aber nicht. Viele der damals Verantwortlichen arbeiteten nicht mehr bei der Stadt, begründeten Finanzdirektor Alexandre Schmidt und Stadtpräsident Alexander Tschäppät diesen Verzicht. Strafrechtliche Tatbestände förderte die Untersuchung keine zutage.

Meyer untersuchte auch einen weiteren Aspekt der Mietaffäre: die Vergabe von städtischen Wohnungen an Mitarbeitende der Liegenschaftsverwaltung. In die eigene Tasche gewirtschaftet habe niemand, stellte Meyer fest. Doch seien Fehler gemacht worden.

So wurden gemäss Untersuchungsleiter Wohnungen nicht oder nur kurz ausgeschrieben und vereinzelt habe man die sonst geübte Vergabepraxis nicht beachtet.

Stapi-Sohn in städtischer Wohnung

Ein weiterer pikanter Fall lag Meyer zur Prüfung vor: jener des Sohns von Stadtpräsident Alexander Tschäppät. Tschäppäts Sohn lebt in einer vergünstigten städtischen Wohnung.

Allerdings handelt es sich um eine Wohnung gemäss dem eidgenössischen Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz (WEG), also um eine vom Bund subventionierte Wohnung, betonte der Stadtpräsident am Montag vor den Medien. Diese Vergabe sei korrekt erfolgt, kam Meyer zum Schluss.

Massnahmen empfohlen

Meyer empfahl der Stadt Bern verschiedene Massnahmen, darunter etwa eine jährliche Kontrolle, die die Berner Stadtregierung umsetzen will.

Finanzdirektor Alexandre Schmidt zeigte sich zudem zufrieden mit dem Stand der Aufarbeitung des Debakels. Von den 232 beanstandeten Fällen sind noch drei hängig.

Allerdings kann die Stadt auch nur in drei Fällen rückwirkend noch zu viel bezogene Subventionen zurückverlangen. Sie hat dies juristisch abklären lassen.

Die Stadt Bern engagiert sich seit Jahren für die Bereitstellung von verbilligtem Wohnraum für Menschen mit wenig Geld. Nach der Inkraftsetzung des Instruments hätten alle zwei Jahre Kontrollen durchgeführt werden müssen, was aber unterblieb.

2007/08 wurde offenbar, dass es so nicht weitergehen konnte. Die damalige Liegenschaftsverwaltung gleiste aber das Geschäft, gemäss Bericht, ungeschickt auf, so dass das Vorhaben 2009 sistiert wurde, bis die gesamte Problematik vertieft geprüft und ein neues Konzept entwickelt sei.

Seit 2011 ist dieses nun in Kraft und es sieht pro Mietvertrag zwei Mietzinse vor, einen verbilligten und einen marktgerechten. Wenn ein Mieter nun also plötzlich die Kriterien für die verbilligte Wohnung nicht mehr erfüllt, muss er nicht einfach ausziehen, sondern kann für einen höheren Mietzins in der Wohnung bleiben.

Diesem System müsse man nun eine Chance geben, kam der Untersuchungsleiter zum Schluss.

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