Das Polareis birgt wertvolle Klimaarchive: Dank Eisbohrkernen konnten Forschende die Klimageschichte der letzten 800’000 Jahre rekonstruieren. Jetzt wollen sie noch tiefer ins Eis und noch weiter in die Vergangenheit: Mit einem in Bern entwickelten «Zahnarztbohrer».
Das internationale Forscherteam mit Beteiligung der Universität Bern hat ein ambitioniertes Ziel: Sie wollen Eisbohrkerne gewinnen, die Klimainformationen der letzten 1,5 Millionen Jahre enthalten. Bisher konnte mithilfe von Eisbohrkernen die Klimageschichte der letzten 800’000 Jahre rekonstruiert werden.
Um das älteste Eis der Welt zu finden, muss der Bohrstandort sorgfältig ausgewählt werden. Helfen wird dabei ein an der Uni Bern entwickelter spezieller Eisbohrer, wie die Hochschule am Dienstag mitteilte.
Rätsel der Klimageschichte
Interessant ist dieser lange Zeitraum, um den Wechsel zwischen Eiszeiten und Warmphasen in der Klimageschichte unseres Planeten besser zu verstehen, wie Klimaforscher Hubertus Fischer gemäss der Mitteilung erklärte. In der Zeit bis vor rund 900’000 Jahren wechselten sich warme Phasen und Eiszeiten etwa alle 41’000 Jahre ab. Danach nur noch alle 100’000 Jahre.
Was diesen Wechsel verursachte, hoffen die Forschenden mithilfe des ältesten Eises herauszufinden. Im Verdacht stehen Treibhausgase, deren Konzentration in der damaligen Atmosphäre sich dank eingeschlossener Gasbläschen im Eis nachvollziehen lassen. Die Klimavergangenheit zu verstehen ist wichtig, um die künftige Entwicklung des Klimas besser vorhersagen zu können.
Die Standortwahl, um nach diesem ältesten Eis zu bohren, ist allerdings nicht ganz einfach: Zunächst gilt es herauszufinden, wo im antarktischen Eisschild 1,5 Millionen Jahre altes Eis existiert. Ausserdem darf die Schichtung des Eises keine Verwerfungen enthalten, die die zeitliche Abfolge der eingeschlossenen Gase und Spurenstoffe durcheinander bringt.
Mit schmalem Bohrer in die Tiefe
Um das sicherzustellen, führen die Forschenden in einer ersten Phase Probebohrungen an Orten in der Antarktis durch, die per Radartechnologie als vielversprechend identifiziert wurden. Dabei kommt der an der Uni Bern entwickelte Eisbohrer zum Einsatz: Er ist nicht grösser als eine elektrische Zahnbürste – im Vergleich zu den für die richtigen Bohrungen verwendeten Eisbohrer also quasi ein extrem feiner «Zahnarztbohrer» für die Antarktis.
Die Technologie nennt sich «Rapid access drilling», was die Geschwindigkeit des Geräts erahnen lässt: In nur knapp einer Woche kann der Bohrer durch den kilometerdicken Eisschild bis auf den Felsgrund bohren und dabei Proben zutage fördern. Anhand dieser können die Forschenden anschliessend die Eignung des Standorts testen.
Seinen grossen Auftritt wird der «Zahnarztbohrer» im antarktischen Sommer Ende 2017 haben. Bis dahin testen ihn die Expertinnen und Experten noch im Feldeinsatz in Grönland.
Handliches Gerät
«Neben der Geschwindigkeit liegt die Stärke unserer Methode beim minimalen logistischen Aufwand», erklärt der Entwickler des Geräts Jakob Schwander von der Uni Bern gemäss der Mitteilung. Die ultraleichte Ausrüstung produziert ein Bohrloch von gerade mal zehn Zentimetern Durchmesser. Von der Bohrflüssigkeit, die zur Stabilisierung des Lochs nötig ist, brauchen die Forschenden deshalb 40-mal weniger als bei einer konventionellen Eisbohrung.
An der Suche nach dem ältesten Eis sind ein Dutzend europäischer Forschungsinstitutionen beteiligt, schrieb die Uni Bern. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI hat soeben den Schweizer Beitrag an dieser ersten Phase des Projekts bewilligt. Sie wird laut der Mitteilung insgesamt rund 2,37 Millionen Franken kosten.
Die eigentliche Bohrung, um den Eisbohrkern mit 1,5 Millionen Jahren Klimageschichte zu gewinnen, wird sich auf rund 30 Millionen Franken belaufen.