Beyond The Hills

Der rumänische Film ist zur Zeit der erfolgreichste Europas: Mit fünf Millionen Franken Subvention räumen die rumänischen Filmemacherinnen jährlich mindestens einen Goldenen Bären, eine Goldene Palme sowie jede Menge weiterer Auszeichnungen ab. Gemessen daran müssten allein die Zürcher Filmemacher das dreifache einheimsen. Es ist die Armut, die die Klarsicht der Rumänen schärft: Sie schafft jene […]

Der rumänische Film ist zur Zeit der erfolgreichste Europas: Mit fünf Millionen Franken Subvention räumen die rumänischen Filmemacherinnen jährlich mindestens einen Goldenen Bären, eine Goldene Palme sowie jede Menge weiterer Auszeichnungen ab. Gemessen daran müssten allein die Zürcher Filmemacher das dreifache einheimsen. Es ist die Armut, die die Klarsicht der Rumänen schärft: Sie schafft jene kompromisslose Energie von Schauspielern, Drehbuchautoren und Kameralauten, die die Kunst wach macht. Armut ist wohl kein guter Ernährer, aber ein unerbittlicher Ratgeber. Samuel Beckett hat es mit einem Satz auf den Punkt gebracht: Kunst ist Reduktion. Eben diese Kunst beherrschen die Rumänen, weil sie von ihr beherrscht werden:

Eigentlich erzählt der Rumäne Christian Mungiu ja auch nur die Liebesgeschichte zweier Frauen. Da aber die Liebe in die Gebetsmühle gerät, geht es bald um Leben und Tod. Alina kehrt aus Deutschland zu Volchita zurück. Sie will ihr Leben mit ihr teilen. Sie will neben ihr schlafen. Sie will ganz ihr gehören. Doch Volchita liebt einen anderen. Sie widmet ihr Leben Jesu. In ihrer Klosterzelle ist wohl Platz für ein zweites Bett, aber nicht in ihrem Herz für eine zweite Liebe.

Aus der enttäuschten Liebe Alinas wächst langsam ein tiefer Trotz. Aus Verletzung und Zurückweisung wird im Kloster plötzlich ungebildeter Ingrimm. Alina beschimpft den Pater des Missbrauchs, die Nonnen der Inzucht. Die Nonnen glauben in ihr den Leibhaftigen zu erkennen, und weisen sie aus dem Kloster. Doch da ist es längst zu spät: Die unheilige Spirale der Teufelsaustreibung ist bereits im Gang. Je abgöttischer sich Alina zu ihrer Liebe bekennt, desto heftiger fühlen die Nonnen sich berufen, ihr den Teufel auzutreiben.

Was jetzt an Frömmelei und religiösem Gehorsam erzählt wird, ist vielleicht nicht besonders unerwartet. Aber wie es erzählt wird, ist schlicht grossartig: das Drehbuch macht uns zu ungläubigen Zeugen einer unglaublichen Operation. Als dürften wir der Vivisektion des Fundamentalismus beiwohnen, sezieren Cosmina Stratan und Cristina Flutur mit chirurgischer Scharfsicht und Rafinesse Nervenstränge eines Irrglaubens, ohne auch einen einzigen Glaubensnerv zu verletzen. Wie die Liebe zum Abgott und Gott zur Unvernunft werden, ist selten so einleuchtend erzählt worden.

Dabei erreichen die Schauspielerinnen (preisgekrönt in Cannes) eine Autenthizität, die schlicht einmalig ist. Wie Pilger folgen wir ihnen auf ihrer Reise, entlang der religiösen Dogmen, bis zum Schluss der Fanatismus – nicht schrill, nicht besinnungslos, sondern schlicht, leise, selbstverständlich vor uns steht: Niemand hat das gewollt. Jeder hat nur, unter Ausschluss der Vernunft, das getan, was der Glaube fordert.

Freiherr Adolph von Knigge riet in einer Zeit, in der das Bürgertum die Herrschaft der Religion mit der Herrschaft der Vernunft besiegen wollte: « Mit Verliebten ist vernünftigerweise gar nicht umzugehn; sie sind so wenig als andre Betrunkene zur Geselligkeit geschickt; außer ihrem Abgotte ist die ganze Welt tot für sie.» Er trifft damit den Kern dieses Films auf erschreckende Weise. Wie die Menschen Liebe zum Abgott und Gott zur Unvernunft machen, und wie beide sich auf ganz unheilige Weise befeuernen können, ist selten so einleuchtend erzählt worden.

 

 

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