BILD oder STOFF? Die Replik

Bild oder Stoff? Beides! Die Bildredaktion nimmt Stellung zu Samuel Eugsters Kritik am Bildstoff «360°». Lieber Samuel Eugster Du fragst «Bild oder Stoff» und zerschneidest den Begriff in zwei gegenüberliegende (W)Orte, die wir genau darum zusammengefügt haben, um unserem Publikum die Möglichkeit zu geben, über das Bild «anundfürsich» nachzudenken. Dass das nicht allen Lesern Betrachtern gleich […]

Da liegt er, der Bildstoffteppich. Und funktioniert so noch besser.

Bild oder Stoff? Beides! Die Bildredaktion nimmt Stellung zu Samuel Eugsters Kritik am Bildstoff «360°».

Lieber Samuel Eugster

Du fragst «Bild oder Stoff» und zerschneidest den Begriff in zwei gegenüberliegende (W)Orte, die wir genau darum zusammengefügt haben, um unserem Publikum die Möglichkeit zu geben, über das Bild «anundfürsich» nachzudenken. Dass das nicht allen Lesern Betrachtern gleich widerfährt, ist uns bewusst. Das Gefäss ist ein einfaches und verständliches Format und geht auf die Tradition der Bilderseiten von Illustrierten zurück, kann daher durchaus boulevardesk erscheinen, aber darf im Mix mit den anderen Angeboten der TagsWoche seine Berechtigung haben.

Was hier Nils Fisch und ich (in wohlwollender Hingabe) veranstalten, ist ein Kuratieren eines immensen Stroms von Bildern, die täglich an unseren Bildschirmen vorbeiziehen, jedes einzelne von einem Fotografen aus der Welt geschnitten und in einen Agenturstrom gegossen.



Reuters Bilderdienst

Reuters Bilderdienst

Die Bild- und Nachrichtenagenturen sind Rohstofflieferanten der Medien. Diese nutzen diese Bilder und Geschichten für ihre Berichterstattung und machen das auf unterschiedlichste Art und Weise.

Der Bildstoff 360° soll ein Guckfenster in diese Bilderwelten sein, er soll inspirieren und verwirren. Und er kann dem Leser mit seinem Verlangen nach journalistischen Inhalten als Linkschleuder dienen. Einen weitergehenden künstlerischen Anspruch wollen wir dieser Rubrik nicht aufladen, für das gibt es andere Gefässe und spezifische Publikationen oder eben Ausstellungsräume.

Vielleicht ist die Papierversion des 360° Blogs für den einen oder anderen unrelevant oder sogar überflüssig. Der darf getrost weiterblättern.

Dir aber tut er weh. Und du bleibst auf dieser papierigen Doppelseite kleben. Vielleicht darum, weil Dir die publizistische Geste respektlos erscheint oder und weil Du die Bilder schlecht behandelt findest. Dann suchst Du Ausschnitte, die zu etwas imaginärem Inspirierenden führen sollen und lässt Dich nicht auf das Nebeneinander der Bilder ein. Schade.

Dabei machen wir eigentlich dasselbe. Ein neues Produkt, ein imaginäres Werk, unsichtbar und sichtbar zugleich. Vielleicht kennst Du meine Arbeiten ausserhalb der TagseWoche-Welt, da geht es vielmals um das Nebeneinander und Nacheinander, das einzelne Bild ist nur Rohstoff einer übergeordneten Idee; vielleicht manchmal durchaus als Einzelwerk interessant, aber in der Vielheit wirkend und inspirierend.



Sreenshot des Streams der Agentur Keystone.

Sreenshot des Streams der Agentur Keystone.

Du schreibst, dass unsere «Sehgewohnheiten immer noch im Naturalismus gefangen» seien. Dem möchte ich laut widersprechen: Die Sehgewohnheiten haben sich durch die Digitalisierung des Bildes in den letzten dreissig Jahren radikal verändert; Bildmanipulation und Bildkompetenz sowie der Bildgebrauch in fast allen Lebenslagen sind mittlerweile Allgemeingut.

Ein typischer westlicher Zwölfjähriger hat mehr Bildkompetenz als ein Fotografenlehrling in den 1980er-Jahren. Und er ist auch schon geübt, jegliches Bild als eventuellen Bildstoff für seine Facebook-Seite zu transformieren.

Naturalismus ist für ihn nicht ein Gefängnis, sondern ein Stilmittel, Abstraktes und vermeintlich Realistisches gleichberechtigt. Der Spannungsbogen zwischen Realität und deren Illustration ist ein grosser Möglichkeitsraum für neue Werke. Zum Machen, zum Betrachten. Kritisch oder unkritisch. Beides!

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