BILD oder STOFF?

Der Rodersdorfer Künstler Samuel Eugster kann den TagesWoche-Bildstoff «360°» nicht anschauen. Ein Plädoyer für das ungegenständliche Bild. Jede Woche liefert die TagesWoche «Bildstoff». Irgendwelche Bilder aus der ganzen Welt, 360°, irgendwie zusammengeschüttet, hingeworfen in einer vielleicht grosszügig gemeinten, aber respektlos wirkenden Geste. Nein, das kann ich nicht anschauen. Es tut richtig weh. Sowas darf man […]

«Hingeworfen in einer vielleicht grosszügig gemeinten aber respektlos wirkenden Geste»: TagesWoche-Bildstoff «360°» .

Der Rodersdorfer Künstler Samuel Eugster kann den TagesWoche-Bildstoff «360°» nicht anschauen. Ein Plädoyer für das ungegenständliche Bild.

Jede Woche liefert die TagesWoche «Bildstoff». Irgendwelche Bilder aus der ganzen Welt, 360°, irgendwie zusammengeschüttet, hingeworfen in einer vielleicht grosszügig gemeinten, aber respektlos wirkenden Geste.

Nein, das kann ich nicht anschauen. Es tut richtig weh. Sowas darf man Bildern nicht antun. Man muss lieb sein zu ihnen. Oder trocken gesagt: Bilder sind nie Rohstoff, sondern Produkte.

So hab ich versucht, aus dem von der TagesWoche angebotenen «Stoff» ein Bild zu machen. Hab versucht mich in das Abgebildete hineinzuversetzen, es mit den Augen abzutasten, hab es mehrmals umgedreht und abgewogen.

Dann nahm ich ein einfaches Quadrat und wählte damit ein Stück aus, das mir etwas zu versprechen schien; etwas, das ich ahnte, aber noch nicht wusste. Und um weiterzukommen, musste ich darauf achten, dass der «Inhalt» aus meinem Bildquadrat verschwindet. Also keine Neuigkeiten, kein Kommentar zum Weltgeschehen, keine Witzchen; weder Dramatisches noch Spassiges; nichts «Politisches» nichts «Soziales» und nicht einmal «Kunst».

Dies als bewusster Akt, den Verstand keineswegs ausgeschaltet. Ich wollte ein Bild bekommen, in dem es mir wohl ist, das einen Klang hat. Und es sollte nichts anderes ausdrücken als sich selbst.

Ausschnitt aus einem Bild von Joel Sames (TagesWoche vom 27.6.2014).

Ausschnitt aus einem Bild von Joel Sames (TagesWoche vom 27.6.2014).

Dass dieser Anspruch – nichts anderes auszudrücken als sich selbst – auch ein Jahrhundert nach Erfindung des ungegenständlichen Bildes unserer Kultur fremd ist, erstaunt mich immer wieder. Unsere Sehgewohnheit ist immer noch im Naturalismus gefangen: Das Bild soll die Realität ausdrücken.

Den Fotoapparat und Photoshop braucht man exzessiv, um solchen «Naturalismus» auf die Spitze zu treiben. Dabei liessen sich gerade mit diesen Instrumenten ganz andere Aspekte der realen Welt sichtbar machen. Haben wir denn vergessen, dass jedes Bild von seinem Wesen und seiner Funktion her meilenweit von der Natur (nämlich von dem, was es abbildet, oder auf das, worauf es hinweist) entfernt ist? Auch wenn es noch eine Ahnung vom Gesicht dieser Welt enthalten sollte, hat es dessen Boden doch längst verlassen, ist jenseits, schwebt in der Luft.

Mit jedem Bild landen wir in Utopia.

So ist der Stoff, aus dem die Bilder sind, wie Luft. So wie der Stoff, aus dem die Träume sind, dem Winde gleicht. Das muss uns nicht hilflos, nicht wütend, nicht depressiv machen. Denn wir wissen, dass die Bilderwelt eine Gegenwelt ist. Von ihr Stofflichkeit, Aktualität, Präsenz, Natur zu verlangen ist Unsinn. Als still strahlende Gegenwelt hat sie uns aber auch etwas zu bieten: den Impuls zur Innovation.

Also gilt es, Himmel und Erde in ein Verhältnis zu setzen, statt die beiden in einen Topf zu werfen; Bild und Stoff klar zu unterscheiden, statt grossmäulig die ganze Welt hineinzupacken.

Es sind bescheidene Ansprüche, die wir an unsere eigene Existenz richten können. Im Bereich der Zeichen und Bilder aber sollten wir keine Kompromisse machen. Da dürfen, ja müssen wir uns so etwas wie Vollkommenheit leisten. Im Wissen allerdings, dass wir uns «wo anders» bewegen. Und in der durch Erfahrung begründeten Hoffnung, dass diese künstliche, künstlerische, poetisch abgehobene Welt durchaus Wirkung hat auf alltägliche Realitäten.

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