In Berlin hat der Film vor allem durch seine brilliante Fotografie bestochen. In Basel läuft er jetzt im Stadtkino am Samstag – der herzensschwere, und doch geistesleichte Film von der List eines Jungen, der fast an der Zurichtung eines Heimes zugrunde gegangen wäre.
Aslan wird in der Schule gemobbt. Bulat, der Anführer gibt die Losung aus, dass kein Mitschüler mit ihm sprechen darf. Bulat sorgt auch dafür, dass im Schulhaus alle Schutzgeld bezahlen. Damit sie nicht verprügelt werden. Damit die religiöse Reinheit bewahrt wird. Gemeint ist die muslimische. Aslan lässt das lange über sich ergehen. Aslan wehrt sich nicht.
Alsan weiss, wie man ein Schaf schächtet, es ausnimmt und häutet. Aslan kann vieles. Er sagt aber selten mehr als eine knappe Antwort auf die Frage der Lehrerin. Aslan beobachtet seine Mitschüler genau. Er muss aber noch mehr erfahren: Über Gandi, Darwin. Aslan forscht auch auf eigene Hand: Er versucht Kakerlaken beizubringen, dass sie nicht sein Essen fressen sollen. Er foltert sie mit Strom. Er riesst ihnen Beine aus. Er verfüttert sie einem Geko. Wir ahnen schon, dass Aslan vielleicht irgendwann einmal auch gegen oben zurückschlagen wird.
Dann kommt eine neuere Schüler aus der Stadt, der sich für Aslan einsetzt. Jetzt wendet sich das Schicksal Aslans – zum Schlechten. Bis es zum bitteren Ende kommt. Und einer Überraschung.
Aslan ist nämlich nicht nur ein wissbegieriges Kerlchen. Er ist auch ein brillianter Beobachter. Er arrangiert sich mit dem System der mafiosen Mitschüler, indem er die Gesetze von Gandi ebenso studiert wie jene von Darwin. Mit diesen Kenntnissen setzt er ein Show-Down in Gang, der einem hochraffinierten Krimiplot alle Ehre macht.
Dabei ist es kein Krimi. Die Harmony
Harmony Lessons geben eine jener Krimi-Geschichten her, die aus Erziehungsanstalten erzählt werden. Auch wenn nie ein Detektiv auftaucht, sind wir von Anfang an den kleinen Verbrechen beteiligt, werden von der Spurensuche gefesselt, der wir ausgesetzt werden. Von Beginn weg, werden wir Zeugen einer unmenschlichen Unterdrückung, und werden parallel dazu mit den Gesetzen der Physik, der Biologie, der Chemie vertraut gemacht, die scheinbar unabhängig von dem Mobbing stehen, und doch immer mehr dessen Existenz ebenso begründen wie dessen Lösung.
Ganz langsam wird nicht nur die Geschichte Aslans entwickelt, sondern des ganzen Herrschaftssystems, das ihn umgibt. Nicht die Mächtigen üben die Macht aus, sondern die Ohnmächtigen, die Seinesgleichen, die kleinen Mitläufer und Duckmäuser wollen die Oberhand. Das macht diese kleine Welt der Schule so gross: Sie steht für ein ganzes Staatsgebilde.
Emir Baigazin aus Kasachstan ist ein Film geglückt, der zu jenen Überraschungen gehört, die Berlin jedes Jahr bietet. Es eine der stärksten in den letzten Jahren: Emir Baigazin schafft es, als Filmemacher mit Bildern einen Druck aufzubauen, der sich irgendwann entladen muss. Nach all den Erniedrigungen und erlittenen Torturen geht Aslan in der Turnhalle an spitzen Kleiderhaken vorben, streichelt sie fast zärtlich, die Spitzen, die an jene erinnern, an denen Schweinehälften aufgehängt werden. Da ist unserer Fantasie bereits das Massaker vorbereitet, das zu erwarten ist. Je deutlicher unser Wissen, je dringendere unsere Erwartung, desto leichthändiger spielt der Film mit uns, respektive: er lässt seine Hauptfigur noch eine weitere Überraschung für uns bereit halten.
Selbst der Schluss, der nach einem fast nacherzählten Shodown aprupt im Verbrechen endet, ist nicht das Ende der Fantasie. Anstatt aus einem Traum zu erwachen, tauchen wir in einen neuen ein. Auch das zeichnet Meisterwerke aus: Dass sie das Einfache wagen. Weil es längst in etwas viel Grösserem aufgehoben ist. Die Lessons kann man im Stadtkino geniessen.
