Bitterness

Am Memorial-Day donnern Tausende Veteranen auf schweren Harley-Davidsons durch die Strassen Washingtons. Sie verlangen mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung. Andere haben während des Nato-Gipfels in Chicago ihre Medaillen für Ehre, Tapferkeit und sonstige Leistungen gegen den Terror zurückgegeben. Auch sie fühlen sich betrogen. Welches Gefühl er in dem Krieg, den er nicht kämpfen wollte, erlebt hat? […]

Vietnam-Veteran Philip ist aus Kalifornien zum "Rolling-Thunder" nach Washington gekommen.

Am Memorial-Day donnern Tausende Veteranen auf schweren Harley-Davidsons durch die Strassen Washingtons. Sie verlangen mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung. Andere haben während des Nato-Gipfels in Chicago ihre Medaillen für Ehre, Tapferkeit und sonstige Leistungen gegen den Terror zurückgegeben. Auch sie fühlen sich betrogen.

Welches Gefühl er in dem Krieg, den er nicht kämpfen wollte, erlebt hat? «Bitterness und Angst», sagt Philipp. Und fügt hinzu: «Die Bitterkeit ist nie verschwunden.»

Er ist einmal quer durch die USA gefahren, um an diesem Memorial Day dabei zu sein: Von Kalifornien in die US-Hauptstadt. Er war zehn Tage lang unterwegs. Jetzt steht er neben seiner glänzend geputzten Harley Davidson. Hat den Motorradhelm abgesetzt. Und macht eine Pause am Fuß des Kapitols.

Von der benachbarten Independence Avenue hallt satter, schwerer Motorenlärm herüber. Tausende Harley Davidson-Fahrer rollen im Schrittempo über die breite Straße. Viele tragen schwarzes Leder. Viele haben darauf deftige Inschriften appliziert. Sie handeln von Heldentum, von Sex und von Dingen an der Heimatfront, die sie immer noch als Verrat empfinden. Da ist zu lesen: «Fuck you Jane Fonda».

Die Motorrad-Fahrer sind aus sämtlichen Gegenden der USA angereist. Sie hupen. Sie winken. Und sie lassen sich bejubeln. Am Straßenrand stehen Männer und Frauen. Manche schwenken die Arme. Andere schwenken Transparente, auf denen Dinge stehen, wie: «thank you for your service». Ab und an lenkt jemand seine Harley Davidson an den Straßenrand, um per Handschlag für eine Aufmunterung zu danken. 

Die Zeremonie erinnert an eine Sieges-Parade für Truppen, die aus einem Krieg heimkehren. Aber die Soldaten, die durch die Innenstadt von Washington donnern, haben ihre Kriege verloren. Und die meisten von ihnen kommen auch nicht frisch von einer Front, sondern versuchen schon lange das Leben im Frieden.

Der Motorrad-Korso «Rolling Thunder» ist die Parade jener, die mit ihren Kriegen allein gelassen worden sind. Jedes Jahr am Memorial Day donnern sie stundenlang um die Mall herum – um die Grün-Anlage im Herzen der US-Hauptstadt. Um die Wiese zwischen dem Kuppelbau des Kongress‘ und dem Säulen-Monument für Präsident Lincoln, wo die USA die Denkmäler für ihre Kriege aufstellen.

In diesem Mai wird der «Rolling Thunder» 25 Jahre alt. Zu den weisshaarig gewordenen Veteranen, die seit einem Vierteljahrhundert ihre Kreise um die Mall fahren, haben sich neue, jüngere Veteranen gesellt. Auch Frauen. Auf manchen Helmen steht:«IRQ» für Irak.

Auf den Gepäckständern der Motorräder flattern Veteranen-Insignien: Die US-Flagge. Das Logo einer Militäreinheit. Und oft die schwarz-weiße Fahne für Kriegs-Vermisste und -Gefangene: „Wir vergessen euch nicht“. An manchen Motorrädern flattern alle drei Fähnchen zugleich.

Der 64jährige Veteran Philip trägt seine Bitterkeit in Tuchfühlung. Auf einem Band, das er um den Kopf gebunden hat, steht: «Manche haben alles gegeben». Auf der Rückseite seiner Weste in grünen Tarnfarben prangt ein großes rundes Zeichen zu Ehren der «gefallenen Helden». Dazu der Satz: «Eine Nation, die ihre Verteidiger vergisst, wird selbst vergessen werden.» Andere Sticker auf seiner Weste erzählen, dass er ein «Native American» und «365 Tage im Jahr Veteran» ist.

1968, als die Army ihn holte, hatte Philip eine Frau, zwei kleine Kinder und einen Job als LKW-Fahrer. «Es war Dienstverpflichtung», sagt er: «Ich musste». Er kommt nach Vietnam. Transportiert chemische Waffen. Transportiert medizinischen Nachschub. Und transportiert die Leichen von Kameraden. «Wir hätten niemals dahin gehen sollen», sagt er: «Wir haben für nichts gekämpft».

Als er zweieinhalb Jahre später die Kaserne in Kalifornien verlässt, wird er angespuckt. Auf der Strasse rufen sie ihn «Baby-Killer». Er wird aus einem Bus herausgeschmissen. Seine Eltern sind gestorben. Seine Frau hat die Scheidung eingereicht. Niemand hilft ihm, ins zivile Leben zurückzukehren. Er muss allein einen Job und eine Wohnung finden. 

Die «bitterness» – über den Krieg und über das Vergessenwerden danach – hat 42 Jahre gehalten. In diesem Mai ist Philip zum ersten Mal zum «Rolling Thunder» gekommen. Warum jetzt? «Weil ich auf dem Weg der Besserung bin». Er geniesst die «Thank you» vom Straßenrand: «das war längst fällig». Er würde Präsident Obama am liebsten sagen, dass er alle Kriege sofort aufhören soll. Und vor seiner Rückreise nach Kalifornien wird er mit den Fingern über die Namen von drei Freunden fahren, die in den schwarzen Stein des Vietnam-Memorials in der Mall eingraviert sind. Drei von 58.195 us-amerikanischen Toten jenes Krieges.

Eine Woche vor dem «Rolling Thunder» in Washington haben andere Veteranen ihre Wut und Enttäuschung ganz anders demonstriert. Mehr als 40 von ihnen sind nach Chicago gereist. Und sie haben ihre Medaillen aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan – unter anderem für den «globalen Krieg gegen den Terror» und für die «nationale Verteidigung» – über den Zaun geworfen, hinter dem die Nato-Spitze tagte. Jeder Veteran begründete seine Geste. Auf dem Fernsehsender Democracy Now sind einige dieser sehr persönlichen Reden zu sehen. «Ich bin kein Held», sagt da einer. «Es tut mir leid, dass wir den Irak und Afghanistan zerstört haben», sagt ein zweiter. «Es waren alles Lügen», sagt ein dritter: «wir haben weder Demokratie noch Freiheit gebracht». 

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