Ohne Brillianz und mit Glück hat sich Brasilien an der Heim-WM für die Viertelfinals qualifiziert. Nun stellt sich der «Seleção» mit Kolumbien der nächste südamerikanische Herausforderer in den Weg.
Das Penalty-Drama am letzten Samstag in Belo Horizonte gegen Chile wird als einer der aufregendsten Momente dieser Weltmeisterschaft in Erinnerung bleiben. Der Gastgeber hatte leiden müssen – und wie. Der chilenische Lattenschuss in der 120. Minute, der kollektive Aufschrei der Fans im Stadion, die Paraden von Julio Cesar, die verschossenen Elfmeter, die Gebete und Tränen der Spieler. Der Gastgeber und grosse WM-Favorit taumelte gewaltig, fiel aber nicht.
Die Kritik im Land des Rekordweltmeisters ist noch lauter geworden. Viele fürchten, dass diese Leistung nicht für die «Hexacampeão», den sechsten WM-Titel, reichen wird. Zico, die grosse brasilianische Nummer 10 der Achtzigerjahre, monierte im englischen «Guardian», dass Brasilien keinen Gameplan besitze. «Wir haben keinen Spielaufbau und beschränken uns auf weite Bälle auf Neymar.» Und Tostão, der Weltmeister von 1970, analysierte in der «Folha de São Paulo»: «Wir haben nur zwei ausgezeichnete Innenverteidiger – und Neymar.»
In allen vier Spielen dieser WM vermochte der Gastgeber nicht restlos zu überzeugen, der Auftritt gegen Chile nahm phasenweise sogar chaotische Züge an. Die immer wieder geforderte und auch angekündigte Steigerung blieb aus. «Es ist normal, dass die Leute fordern, dass wir besser spielen», sagte Trainer Luiz Felipe Scolari. «Aber es gibt keine Unterschiede mehr zwischen Mannschaften mit Tradition, die WM-Titel gewonnen haben, und den anderen Teams.»
«Felipão», der Weltmeistertrainer von 2002, ist besonders gefordert, zumal er heute im Mittelfeld den gesperrten Luiz Gustavo ersetzen muss. Mit Kolumbien trifft die «Seleção» in Fortaleza auf einen Gegner, der alle seine vier Spiele souverän gewonnen und wenig zu verlieren hat. Erstmals in der WM-Geschichte überhaupt steht Kolumbien in einem Viertelfinal. «Wir haben keine Angst vor Brasilien», lautet der Tenor.
Neymar vs. James Rodriguez
Die Partie zwischen dem Gastgeber und dem Aussenseiter ist auch das Duell zwischen Neymar und James Rodriguez. Rodriguez ist der bisherige Shootingstar dieser WM. Der offensive Mittelfeldspieler der AS Monaco hat in allen vier Spielen getroffen und führt mit fünf Treffern die Torschützenliste an. «Dieser James Rodriguez ist aufgetaucht und hat die WM von Messi und Neymar gesprengt», schwärmte Argentiniens Ikone Diego Maradona. «Er ist das Nonplusultra.»
Auch Neymar lobte seinen heutigen Gegner: «James Rodriguez ist ein exzellenter Spieler. Aber ich hoffe, dass sein Zyklus bei dieser WM nun zu Ende geht.» Brasiliens Nummer 10 hielt als einer der wenigen dem immensen Erfolgsdruck stand und war der bisher alle überragende Spieler auf Seiten der «Seleção». Vier Treffer schoss Neymar in der Vorrunde, gegen Chile versenkte er den fünften und letzten brasilianischen Penalty souverän.
Gegen Kolumbien erwartet der Star der «Seleção» ein ähnliches Spiel wie gegen Chile: «Es wird wieder ein Krieg werden. Wir müssen von Beginn an auf der Höhe sein und besser spielen.» In erster Linie sind Neymars Teamkollegen in der Offensive gefordert. Stürmer Fred war bislang ein Totalausfall, Oscar blieb blass, Hulk zeigte immerhin gegen Chile einige gute Ansätze. Dass Brasilien wie an früheren Weltmeisterschaften noch nicht mit seinem «Joga bonita» aufgefallen ist, kümmert Neymar nicht. «Es ist nicht möglich, 4:0 oder 5:0 zu gewinnen. Das Niveau ist ausgeglichen. Wir sind hier, um zu gewinnen und nicht um ein Spektakel zu zeigen und auszuscheiden.»
Erst zwei Siege für Kolumbien
Spektakulär waren bislang vor allem die Auftritte von Kolumbien – und allen voran jene von James Rodriguez. Die beiden Tore im Achtelfinal gegen Uruguay waren symptomatisch für Rodriguez und seine Mannschaft, das 1:0 war ein technisches Meisterwerk, das 2:0 ein herrlich vorgetragener Angriff des gesamten Kollektivs. «Wir sind dabei, Geschichte zu schreiben», sagte Rodriguez, das Duell gegen den Rekordweltmeister und Gastgeber soll für die «Cafeteros» nicht das Ende bedeuten.
Geht es nach der Statistik ist Brasilien der klare Favorit. Von 25 Begegnungen hat Kolumbien nur zwei gewonnen, die letzte 1991. Brasilien gewann 15 Spiele, die letzten vier Duelle endeten Remis. Die ruhmreiche Vergangenheit des fünffachen Weltmeisters zählt heute allerdings nichts. «Wir gewinnen nicht, nur weil wir Brasilien sind», sagte Mittelfeldspieler Ramires.
Die möglichen Aufstellungen:
Brasilien – Kolumbien. – Freitag, 17 Uhr. – Estadio Castelao, Fortaleza. – SR Velasco Carballo (Sp).
Brasilien: 12 Julio Cesar; 2 Dani Alves, 3 Thiago Silva, 4 David Luiz, 6 Marcelo; 5 Fernandinho, 8 Paulinho; 7 Hulk, 11 Oscar, 10 Neymar; 9 Fred.
Kolumbien: 1 Ospina – 18 Zuniga, 2 Zapata, 3 Yepes, 7 Armero – 11 Cuadrado, 8 Aguilar, 6 Sanchez, 10 James Rodriguez – 9 Teofilo Gutierrez, 21 Jackson Martinez.
Bemerkungen: Brasilien ohne Luiz Gustavo (gesperrt).