Ab sofort können Bund und Kantone auf ein Notfallkonzept zurückgreifen, sollten die Asylzahlen extrem ansteigen. Es ist nicht auf eine bestimmte Anzahl Asylgesuche ausgerichtet, sondern unterscheidet zwischen „besonderen“ und „ausserordentlichen“ Lagen, wobei letztere als Notfall gelten.
Besonders ist gemäss Konzept die Lage zwischen Normal- und Notfall. Gerade in dieser Phase „müssen geeignete Massnahmen ergriffen werden, um den drohenden Notfall zu vermeiden“, heisst es im Papier, das am Mittwoch vom Bundesrat verabschiedet wurde.
Es erklärt mögliche kritische Auswirkungen auf das schweizerische Asylwesen bei Veränderungen im internationalen Umfeld. Im Fokus stehen dabei der Zustrom von Asylsuchenden, die Veränderung des Gesamtbestandes, die Pendenzen und die internationale Entwicklung.
Das Konzept nennt 29 Massnahmen, die helfen sollen, kritische Situationen in den Griff zu bekommen. Unter anderem soll der Bund bei extrem wachsenden Asylzahlen den Menschen vorübergehend Schutz gewähren können. Dadurch wird ihr Asylverfahren sistiert und das Asylsystem entlastet. Rechtlich ist dieser „Status-S“ bereits heute möglich, er wurde jedoch noch nie angewandt.
Militäranlagen für das BFM
Um die Bettenzahl langfristig zu erhöhen, soll das VBS zivil nutzbare Immobilien dem Bundesamt für Migration (BFM) übertragen. Weiter sollen Bund und Kantone Reserveunterkünfte schaffen. Schwierigkeit dabei ist jedoch, dass die Kantone derzeit nicht dazu verpflichtet sind.
In Notfallsituationen sollen Asylsuchende auch in Zivilschutzanlagen, Containersiedlungen, Zeltanlagen oder in Mehrzweckhallen und bei Privatpersonen untergebracht werden.
Für Menschen, die abgewiesen werden, braucht es gemäss Konzept mehr Haftplätze. „Hohe Haftplatzkapazitäten“ stellten einen wichtigen Erfolgsfaktor im Wegweisungsvollzug dar, heisst es im Konzept. Da dafür die Kantone zuständig sind, werden diese diesbezüglich in die Pflicht genommen. Im Gegenzug prüft der Bund Ausreisezentren.
Zuwenig Personal
Das Notfallkonzept soll den Verantwortlichen ermöglichen, in schwierigen Situationen „rasch komplexe Entscheide zu fällen“, wie das BFM mitteilte. Dazu gehören auch die Aufstockung des Personals, zentrale Befragungen, die Anordnung von Mehrarbeit und Überzeit.
Das Konzept basiert auf einer sogenannten Normallage, die auf langjährigen Erfahrungen beruht. Für die Schweiz heisst die Normallage rund 16’000 Asylgesuche jährlich. Allerdings wurden BFM und Kantone 2006 mit einer Sparübung darauf ausgerichtet, 10’000 Asylgesuche pro Jahr behandeln zu können.
Mit dem arabischen Frühling veränderte sich die Lage der Schweiz „und überschritt die Werte der Normallage merklich“. Heute befindet sich die Schweiz in einer besonderen Lage. Zwar wurden die personellen Kapazitäten im Frühling bereits hochgefahren, um 23’000 Gesuche prüfen zu können. Doch auch dies reicht nicht aus; erwartet werden für 2012 und 2013 je 30’000 Gesuche.
Zuwenig Betten
Die Sparübung von alt Bundesrat Christoph Blocher hatte auch Auswirkungen auf die Bettenzahl. „Zum jetzigen Zeitpunkt verfügt der Bund über keinerlei Unterbringunsreserven“, wird im Konzept konstatiert. Deshalb wurde im Frühling das Verteidigungsdepartement (VBS) angewiesen, bis Ende Jahr 2000 temporäre Betten zur Verfügung zu stellen und bis Ende 2013 weitere 2000 Plätze für drei Jahre.
Asylsuchende sollen künftig in ausrangierten Militäranlagen, stillgelegten Spitälern oder leeren Hotels untergebracht werden. Damit soll ermöglicht werden, dass Asylsuchende ohne Aussichten auf Bleiberecht ab Verfahrenszentren weggewiesen werden können.Gefunden hat das VBS bislang 530 in fünf Unterkünften, wie der Bundesrat am Mittwoch zur Kenntnis nahm. Bis Mitte 2013 sollen es total 966 sein.
Mit den dringlichen Beschlüssen bei der Asylgesetzrevision, welche Kantone und Gemeinden entmachteten und dem Bund erlauben, ohne deren Genehmigung Unterkünfte zu benennen, fällt etwas Druck vom VBS ab.
Diese Rechtsänderungen hätten sich positiv auf die Suche nach geeigneten Unterkünften ausgewirkt, teilte das VBS am Mittwoch mit. Die Suche von militärischen Unterkünften für nur sechs Monate wurde eingestellt, weil das dringliche Recht drei Jahre lang gilt.
Gegen die Asylgesetzrevision wurde das Referendum ergriffen. Wird es abgelehnt, so schaut das Notfallkonzept schon weit voraus: „In diesem Fall müsste geprüft werden, wie diese Bestimmung in ordentliches Recht überführt werden kann.“
Arabischer Frühling
Der Bundesrat gab das Notfallkonzept anfangs 2011 im Zuge des arabischen Frühlings vorsorglich in Auftrag. „Bisher ist kein Notfall eingetreten“, hält der Bundesrat fest.
Das EJPD hat das Papier mit andern involvierten Bundesbehörden sowie in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen erstellt und am Mittwoch dem Bundesrat unterbreitet. Es ist als ein vorsorgliches Planungsinstrument angelegt. Die vorgesehenen Massnahmen und Prozesse sollen bei Bedarf ohne Verzögerung umgesetzt werden können.