Der Bundesrat kommt den Initianten der Wiedergutmachungsinitiative entgegen. Er hat am Mittwoch beschlossen, dem Volksbegehren einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen.
Die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen sollen mit bis zu 300 Millionen Franken entschädigt werden. Das ist weniger als die von der Initiative verlangten 500 Millionen Franken.
Mit einem Gesetz könnten die Geschehnisse aber rascher als über eine Verfassungsänderung aufgearbeitet werden, schreibt der Bundesrat in einer Mitteilung. Dadurch würden möglichst viele Opfer noch in den Genuss der Wiedergutmachung kommen.
Bis nächsten Sommer will der der Bundesrat eine Gesetzesvorlage ausarbeiten. Diese soll neben finanziellen Leistungen in der Grössenordnung von 250 bis 300 Millionen Franken auch das geschehene Unrecht gesetzlich anerkennen, die Akten sichern und die Akteneinsicht für die Betroffenen regeln.
Breite Unterstützung
Die Initiative «Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen» ist im Dezember mit fast 109’000 gültigen Unterschriften eingereicht worden. Sie verlangt die Einrichtung eines Fonds in der Höhe von 500 Millionen Franken zur Entschädigung der am schwersten betroffenen Opfer. Über die Finanzierung schweigt sich die Initiative aus.
Diese wurde vom Unternehmer Guido Fluri lanciert. Im Initiativkomitee sind neben Vertreterinnen und Vertretern der Betroffenenorganisationen Mitglieder aller Bundeshausfraktionen mit Ausnahme der SVP vertreten.
Fürsorgerische Zwangsmassnahmen waren im 20. Jahrhundert in der Schweiz gegen mindestens 20’000 Menschen angeordnet worden. Manche wurden als Kinder an Bauernhöfe verdingt, andere zwangssterilisiert, für Medikamentenversuche missbraucht oder wegen «Arbeitsscheu», «lasterhaften Lebenswandels» oder «Liederlichkeit» weggesperrt.
Der Zugang zu Gerichten blieb den Betroffenen in den meisten Fällen verwehrt. Erst 1981 wurde die Praxis der administrativen Zwangsversorgung gestoppt. Im Verlauf der letzten Jahre gab es erste Schritte zur Rehabilitierung der Betroffenen.
An einem Gedenkanlass bat Justizministerin Simonetta Sommaruga im April 2013 die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen im Namen des Bundesrats um Entschuldigung. Ein Jahr später verabschiedete das Parlament ein Gesetz, mit dem das Unrecht anerkannt wird. Eine finanzielle Wiedergutmachung ist darin nicht vorgesehen. Vorerst gibt es nur einen Soforthilfefonds.
Soforthilfe noch bis im Sommer
Bisher erhielten Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen rund drei Millionen Franken an Soforthilfe. Zwischen Juni und Dezember 2014 gingen rund 650 Gesuche beim Ausschuss des Soforthilfefonds ein. 450 Gesuche wurden geprüft, in über 400 Fällen wurden Beiträge ausbezahlt – durchschnittlich in der Höhe von rund 8000 Franken pro Person. Die Frist für Soforthilfe-Gesuche läuft Ende Juni 2015 ab.
Neben der Soforthilfe hatte ein von Justizministerin Simonetta Sommaruga ins Leben gerufener Runder Tisch die Schaffung von Gesetzesgrundlagen für finanzielle Leistungen vorgeschlagen. Diese sollen es ermöglichen, allen Opfern – nicht nur denjenigen, die sich heute in einer finanziellen Notlage befinden – gewisse finanzielle Leistungen als Anerkennung des erlittenen Unrechts und als Zeichen gesellschaftlicher Solidarität zukommen zu lassen.