Der Bundesrat ist im Moment nicht bereit, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen. Er stockt aber die Hilfe in den Krisenherden auf. Und er ist bereit, sich an einem weiteren europäischen Programm zur Verteilung von Flüchtlingen zu beteiligen.
Das erste so genannte Relocation-Programm sieht vor, 40’000 schutzbedürftige Personen auf die europäischen Länder zu verteilen. Der Bundesrat hat am Freitag entschieden, dass sich daran auch die Schweiz beteiligt. In diesem Rahmen ist er bereit, 1500 Personen Schutz in der Schweiz zu bieten.
Das bedeutet jedoch nicht, dass zusätzliche Flüchtlinge in die Schweiz kommen. Schon im März hat der Bundesrat nämlich beschlossen, 3000 Syrerinnen und Syrern aufzunehmen. An dieses Kontingent will er die 1500 Flüchtlinge anrechnen.
Geringe Nachfrage nach humanitären Visa
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga erläuterte den Entscheid des Gesamtbundesrats vor den Bundeshausmedien. Ein Teil des Kontingents sei für humanitäre Visa vorgesehen, sagte sie. Die Nachfrage sei aber weniger gross als angenommen, weshalb die Flüchtlinge an das Kontingent angerechnet werden könnten.
Das Wichtigste sei aber ohnehin die Hilfe vor Ort, sagte Sommaruga. Damit könne man die Menschen dazu bringen, in der Region zu bleiben. Der Bundesrat hat darum beschlossen, die Schweizer Hilfe um 70 Millionen Franken aufzustocken. 50 Millionen Franken sollen dieses Jahr fliessen, 20 Millionen Franken im 2016. Die Schweizer Hilfe in Syrien, Libanon, Jordanien und Irak seit 2011 beläuft sich auf insgesamt 198 Millionen Franken.
Mit dem zusätzlichen Geld sollen die unterfinanzierten Programme des Welternährungsprogramms (WFP), des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) oder das IKRK unterstützt werden, erklärte Aussenminister Didier Burkhalter. Das Geld soll vor allem im Krisenherd rund um Syrien und Irak eingesetzt werden, aber auch am Horn von Afrika.
Zudem sollen Aktivitäten der Schweiz finanziert werden, etwa der Aufbau von Schulen in den Flüchtlingslagern oder politische Bemühungen um einen Frieden in der Region. Ein solcher Prozess könne aber nur gelingen, wenn alle Akteure an einem Tisch sässen, betonte Burkhalter. Er hatte schon Anfang Woche eine weitere Runde von Syrien-Gesprächen in Genf in Aussicht gestellt, möglicherweise im November.
«Politisches Versagen»
Angesichts der anhaltenden Migrationsströme steht aber vorerst die Verteilung weiterer Flüchtlinge im Zentrum der Diskussion. Ein Treffen der EU-Innenminister, an dem auch Sommaruga teilnahm, endete am Montag ohne eine Einigung über die Verteilung von weiteren 120’000 Flüchtlingen.
Sommaruga machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. Sie sprach von einem «politischen Versagen» auf europäischer Ebene. Dafür zahle Europa nun den Preis. Für eine Lösung brauche es gemeinsame Anstrengungen. «Es gibt keine nationalen Antworten auf dieses Problem», sagte Sommaruga.
Darum werde sich die Schweiz solidarisch zeigen gegenüber Europa, auch aus ethischen Gründen: «Solidarität zeig man dann, wenn es schwierig ist», sagte die Bundespräsidentin.
Der Bundesrat hat das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) ermächtigt, in Brüssel entsprechende Zusicherungen zu machen. Ein Krisentreffen der EU-Innenminister ist für Dienstag geplant, am Mittwoch findet ein EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs statt. Das EU-Parlament hat der Verteilung von 120’000 Flüchtlingen in Europa bereits gestern Donnerstag zugestimmt.
«Restrisiko» für Ansturm in der Schweiz
Nach Ansicht von Sommaruga ist ein Verteilschlüssel auch im Interesse der Schweiz, weil sich die Situation ändern könnte und die Schweiz selber mit einem Ansturm von Flüchtlingen konfrontiert sein könnte. Damit rechnet das Staatssekretariat für Migration (SEM) allerdings weiterhin nicht: Noch immer geht man von rund 29’000 Asylgesuchen bis Ende Jahr hin – plus oder minus 2500.
SEM-Direktor Mario Gattiker verwies darauf, dass die Flüchtlinge den kürzesten Weg nach Deutschland oder Schweden wählten. So lange die österreichische Grenze offen sei, führe der nicht über die Schweiz. Laut Gattiker gibt es ein «Restrisiko», dass sich das ändern könnte. Aber darauf seien die Behörden vorbereitet.
Dublin-Regeln einhalten
Das Management dieser Migrationsströme ist für den Bundesrat eine Bedingung für die Beteiligung der Schweiz am neuen Verteilschlüssel. Die Dublin-Verpflichtungen müssten eingehalten werden, sagte Sommaruga. Das heisse, dass die Flüchtlinge in den Erstaufnahmeländern registriert werden und die «Hotspots» funktionieren müssten.
In diesen Zentren soll eine erste Auswahl vorgenommen werden, welche Flüchtlinge voraussichtlich schutzbedürftig sind. Laut Sommaruga liegt der Fokus dabei auf Personen aus Syrien, Irak und Eritrea. Diese sollen auf die verschiedenen Länder verteilt werden. Dort würde dann das eigentliche Asylverfahren durchgeführt.
Wie viele der 120’000 Flüchtlinge der Schweiz zugeteilt würden, ist noch unklar. Kommt der aktuell diskutierte Verteilschlüssel zur Anwendung, wären es zwischen 4500 und 5000. Für die Aufteilung werden die Bevölkerungszahl, das Bruttoinlandprodukt, die Zahl bereits aufgenommener Flüchtlinge und die Arbeitslosigkeit berücksichtigt.
Für den Bundesrat kommt die Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge nur in Absprache mit den Kantonen in Frage. «Das ist im Föderalismus eine absolute Selbstverständlichkeit», sagte Sommaruga. Sie betonte auch die Bedeutung eines permanenten Verteilschlüssels. «Wir können es uns nicht leisten, von Notfall zu Notfall zu stolpern.»