Das Bundesstrafgericht hat am Dienstag einen juristischen Schlussstrich unter die Affäre Tinner gezogen und das abgekürzte Verfahren genehmigt. Damit bleiben alle Tinners auf freiem Fuss. Das Gericht machte allerdings aus seinen zahlreichen Vorbehalten keinen Hehl. Ein Beweisverfahren fand nicht mehr statt.
Bestätigt hat das Gericht damit auch die beantragten Strafen. Es sprach die Angeklagten der „Förderung der Herstellung von Kernwaffen“ schuldig. Marco Tinner wurde zusätzlich der Urkundenfälschung schuldig gesprochen. Es verurteilte Urs und Marco Tinner zu einer 50- respektive 41-monatigen Freiheitsstrafe und ihren Vater zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung.
Die Angeklagten bleiben auf freiem Fuss, da die Söhne ihre Strafen bereits in Untersuchungshaft abgesessen haben und die Strafe des Vaters eine bedingte war. Die Tinners tragen die Verfahrenskosten in der Höhe von 400’000 Franken.
Die Tinners haben den ihnen angelasteten Sachverhalt grundsätzlich eingestanden und somit gegen das Kriegsmaterialgesetz verstossen. Im Gegenzug hatten sie sich mit der Bundesanwaltschaft (BA) in einem massgeschneiderten Deal auf ein bestimmtes Strafmass geeinigt.
Richter äusserten Vorbehalte
Das Bundesstrafgericht hat diesen Deal nun zwar genehmigt, brachte allerdings zahlreiche Vorbehalte an. So hatte es Schwierigkeiten zu beurteilen, ob das verhängte Strafmass der Schwere der zur Last gelegten Strafen Rechnung tragen würde. Die Richter hoben vor allem die Differenz zwischen der zweijährigen Bewährungsstrafe von Friedrich Tinner und den 50- respektive 41-monatigen Strafen seiner Söhne Urs und Marco hervor.
Die Richter riefen in Erinnerung, dass Friedrich Tinner die Hauptrolle in dieser langen Affäre spielte. Zudem erachtete das Gericht die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden keineswegs als strafmildernd. Vielmehr handle es sich um eine unerlaubte Massnahme.
Die Richter fragten sich weiter, aus welchen Gründen die Tinners davon absahen, die Schweizer Behörden vor dem Risiko einer Verletzung des Atomwaffensperrvertrages zu warnen, obschon die amerikanischen Behörden davon in Kenntnis gesetzt wurden.
Angesichts der Nachteile eines normalen Verfahrens, die vor allem auf die Aktenvernichtung wichtiger Teile des Dossiers zurückzuführen seien, akzeptierte das Bundesgericht letztlich den vorgeschlagenen Deal der Bundesanwaltschaft.
Arbeit für „Vater der Atombombe“
Die Affäre Tinner beschäftigte Politik, Gerichte und Öffentlichkeit seit über sechs Jahren. Das Eidg. Untersuchungsrichteramt hatte den Tinners angelastet, seit den späten 1970-er Jahren im Netzwerk des pakistanischen „Vaters der Atombombe“ Abdul Qadeer Khan an der Urananreicherung zur Produktion von Atomwaffen mitgewirkt zu haben. Bereits im Juni 2003 sollen die Tinners dabei von der CIA angeworben worden sein.
Ab diesem Zeitpunkt hätten sie in deren Auftrag weiter für Khan gearbeitet und damit zum Auffliegen seines Netzes beigetragen. Offenbar auf ihren Tipp hin konnten die Geheimdienste im Oktober 2003 in Italien ein Schiff abfangen, das mit Teilen für eine Urananreicherungsanlage nach Libyen unterwegs war.
Die Details der CIA-Tätigkeit durften allerdings auf Geheiss des Bundesrates nicht unter die Lupe genommen werden. Die BA konnte deshalb auch nicht klären, ob die Tinners tatsächlich mit ausländischen Diensten zur Aufdeckung des libyschen Atomwaffenprogrammes beigetragen haben.
Die Landesregierung hatte 2008 zudem auf Druck der USA Material aus dem Tinner-Verfahren schreddern lassen. Kopien von Teilen der vernichteten Akten tauchten später in den Archiven der BA auf. Die Tinners waren 2005 verhaftet worden. Der Vater wurde 2006, die Söhne wurden Ende 2008 und Anfang 2009 aus der Untersuchungshaft entlassen.