Claudia Cardinale: «Meine Träume sind erfüllt»

Am Freitag war die grosse Claudia Cardinale in Basel. Im Interview erzählt sie, dass sie eigentlich Entdeckerin werden wollte – und auf eine Weise auch wurde. Dass sie sich in ihre Rollen reinwirft, obwohl sie eigentlich davor flieht. Und dass sie lieber Verträge bricht, als sich etwas vorschreiben zu lassen. Das Stadtkino widmet der italienischen Schauspielerin […]

CC - eine Filmlegende blickt zurück.

Am Freitag war die grosse Claudia Cardinale in Basel. Im Interview erzählt sie, dass sie eigentlich Entdeckerin werden wollte – und auf eine Weise auch wurde. Dass sie sich in ihre Rollen reinwirft, obwohl sie eigentlich davor flieht. Und dass sie lieber Verträge bricht, als sich etwas vorschreiben zu lassen.

Das Stadtkino widmet der italienischen Schauspielerin Claudia Cardinale eine klug gewählte Reihe. Und die Auswahl ist gross. Visconti, Fellini, Di Broca, Brooks, Leone gehören zu ihren Regisseuren. 

Claudia Cardinale gehört zu den Grossen des Kinos. Am Samstag war sie im kleinen, wunderfeinen Stadtkino zu Gast. Ein Hauch von Welt. Eine Frau, die viel gesehen hat, gab Auskunft. Über ihre grösste Komödie. Über ihre grössten Begegnungen. Über ihre grössten Träume. Am Ende blieb eine sehr zugängliche Frau, die weiss, was sie will. 

Wenn sie in den Siebzigerjahren auf der Leinwand erschien, brachte sie selbst die nüchternsten Zuschauerinnen und Zuschauer im Kinosaal zum Halluzinieren. In ihrem Feuer steckte die Sehnsucht einer ganzen Generation – auch der Frauen. «Ich war die Wilde – selbstsicher, tiefgründig und frech», sagt sie über sich selbst.

Das CC wurde zur Marke, die man mit der BB (Brigitte Bardot) ins Rennen um die Gunst der Medien schickte. Es wurden Gerüchte um die CC geschürt – um ihren vorehelichen Adoptivsohn, um ihre Männer, ihre Lieben. Die Paparazzi jagten sie. Doch die Cardinale blieb sich treu – auch wenn sie dafür einmal einen grossen Vertrag brechen musste, wie sie erzählt.



«Ich kann Menschen nahe an mich heranlassen, ohne mich zu verlieren.»

«Ich kann Menschen nahe an mich heranlassen, ohne mich zu verlieren.» (Bild: Nils Fisch)

Claudia Cardinale, Sie repräsentieren die grosse Epoche des europäischen Kinos: Sie begann für Sie mit «I soliti Ignoti», einer der besten Komödien der Filmgeschichte…

«I soliti Ignoti» war mein erster Film in Italien, nach zwei kleinen Arbeiten in Tunesien. Ich wollte ja eigentlich auch nicht Schauspielerin werden. Meine Schwester wollte Schauspielerin werden. Sie war auch die Schönere von uns zweien. Ich wollte Entdeckerin werden.

Entdeckerin?

Ja. Danach habe ich erst einmal Italien entdeckt, das Land meiner Vorfahren, ohne ein Wort Italienisch zu sprechen. Meine Muttersprache ist Französisch. Ich war Einwandererin, das war für mich sehr komisch. Die Italiener machten immer nur so…  (sie gestikuliert mit den Armen). Ich fürchtete immer, dass sie sich streiten.

Sie wissen sich aber mit den Händen und Armen gut zu helfen…

Ja. Ich suche als Schauspielerin immer meinen Ausdruck in den Augen, mit dem Mund, dem Körper. Ich hatte in Italien eine grossartige Zeit. Der Film von Monicelli wurde ein Startschuss für einige Weltkarrieren: Marcello Mastroianni, Vittorio Gassman und andere. Ich habe den Regisseur Monicelli Jahre später in Paris wieder in der Cinémathèque getroffen, und als Erstes hat er auf mich gezeigt und gerufen: «Mit der da habe ich einst begonnen, Filme zu machen.»


«I Soliti Ignoti» von Mario Monicelli, eine Komödie mit Claudia Cardinale und Marcello Mastroianni (Hier – leider – in Englisch).

Danach haben Sie als Schauspielerin einen Vertrag unterschrieben, 1958, bei Franco Cristaldis Produktionsfirma Vides. 

Er war einer der grössten Produzenten Italiens. Aber der Vertrag hat mir jede Freiheit genommen. Er garantierte mir zwar einen kargen Monatslohn, schrieb mir aber jeden Schritt im Leben vor. Wann ich ausgehen darf. Wie viel ich zunehmen darf. Franco hat sich um mein gesamtes Leben gekümmert. Ich hatte einen eigenen Chauffeur, aber ich durfte nicht aussteigen, wo ich wollte. Franco hat sich in Amerika sogar mit mir verheiraten lassen. Ohne mein Wissen. Nun – ich habe den Siebenjahresvertrag gebrochen. Ich habe ohnehin oft gegen Regeln verstossen. Einmal wurde ich in Amerika angehalten, weil ich ohne Bodyguards unterwegs war. Das sieht die Polizei dort nicht gerne, wenn eine Berühmtheit einfach allein einkaufen geht…

Claudia Cardinale
Wurde 1938 in Tunesien geboren. In Italien wurde sie als «Eingewanderte» für den Film entdeckt, niedergelassen hat sie sich in Paris. Nach über 150 Filmen und einem Leben mit zwei – oder mehr – Männern, in mehreren Rollen, als Mutter, als Unesco-Botschafterin, als Jurorin und immer wieder vor der Kamera, gehört sie zu jenen Frauen, die die grosse Zeit des europäischen Nachkriegs-Kinos auch mit ihrer Biografie repräsentieren.

Sie haben mit vielen Regisseuren gearbeitet. Welche Zusammenarbeit haben Sie in besonderer Erinnerung?

Nach hundertfünfzig Filmen ist es schwer, einen Liebling zu nennen. Ich habe mit grossen Regisseuren gearbeitet: Mit Luchino Visconti hat mich am meisten verbunden. Ich habe in seinem Haus gewohnt. Wir sind zusammen an Konzerte gegangen. Ich habe vier Filme mit ihm gedreht. Im ersten, «Rocco und seine Brüder», war ich in einer kleinen Rolle auf dem Set, unter all den damaligen Berühmtheiten. Annie Girardot, Alain Delon und so weiter. Da ist Luchino zu mir gekommen: «Du bist doch die Cardinale! Ich hätte dich fast nicht erkannt». Danach war ich ein Teil seiner Familie.

Woran erkennen Sie einen guten Regisseur?

Jeder ist auf seine Art der Beste: Visconti war Präzisionsmechaniker. Er arbeitete analytisch wie am Theater. Man sass viel um einen Tisch und las. Er probte, suchte einen präzisen Ausdruck. Er war ein phantastischer Zuschauer. Fellini war ein Spieler. Er hatte nicht einmal ein Drehbuch. Er setzte sich manchmal Marcello (Mastroianni, red) gegenüber, um – an meiner Stelle – zu improvisieren. Dann setzte er sich mir gegenüber und improvisierte an Marcellos Stelle mit mir. Dann hat er daraus eine Szene zwischen Marcello und mir zusammengeschnitten. Heute entscheide ich mich immer anhand des Drehbuchs für einen Regisseur. Wenn ich das Drehbuch nicht mag, muss ich den Regisseur nicht kennenlernen. Allerdings hätte ich vielleicht Fellini nie kennengelernt, wenn ich das damals bei «Otto e Mezzo» gemacht hätte.

«In ‹Fitzcaraldo› war ich viel mehr das, was ich einst sein wollte: Entdeckerin, und weniger Schauspielerin.»

Und auf dem Set?

Da lernt man sich viel weitergehend kennen. Visconti war immer äusserst präzise vorbereitet. Er war mein Lehrer. Aber dennoch sind Abenteurer wie Werner Herzog mit «Fitzcaraldo» eben auch grosse Künstler. In dieser Arbeit war ich viel mehr das, was ich einst sein wollte: Entdeckerin und weniger Schauspielerin.

Von Ihrem Kollegen Klaus Kinski kennt man legendäre Wut-Ausbrüche auf dem Set. Wie hatten Sie es mit ihm?

Kinski hat am ersten Tag erst einmal mit einem Taschenspiegel kontrolliert, ob er gut beleuchtet ist. Aber im Zusammenspiel war er ein grossartiger Partner. Ich habe wie Werner Herzog zuvor sicher nichts von dem Abenteuer geahnt, das da auf uns zukam. Der Film war wie die Wirklichkeit im Urwald eine gewaltige Strapaze. Nicht nur für den wütenden Klaus. Ich war eher die Friedenstaube, während des ganzen Drehs in einem weissen Kleid. Die Indios haben mich verehrt wie eine Göttin.

Sie haben sich immer ganz und gar auf Ihre Rollen eingelassen, Sie lebten in verschiedenen Kulturen. Wissen Sie noch, wer Sie sind?

Um all die Filmrollen mit Leben zu füllen, muss man sich immer wieder verändern – wie im Leben selbst. Aber Rolle und Leben sind bei mir strikt getrennt. Ich bin da ohnehin eher ein Flüchtling, und man muss stark bleiben.

Welchen Film halten Sie für Ihren stärksten?

Im Arabischen gibt es ein Wort für Schicksal. Das habe ich angenommen. Und das Schicksal ist grossmütig. Es entscheidet selbst. Ich habe gemacht, was für mich vorgesehen war. Ich durfte mein Bestes geben. Was wiederum nur mit den guten Partnern möglich war: Alain Delon, Burt Lancaster, Marcello Mastroianni, Rock Hudson, John Wayne, der Mann, dessen Hände dreimal so gross waren wie meine…

In den Medien wurde einst gerne die BB mit der CC verglichen. Dann kam es endlich zu einer Begegnung auf der Leinwand – in einem Ringkampf der Blonden gegen die Braune.

Oh ja, die Begegnung mit Brigitte Bardot. Ich spiele gern alle Spezial-Effekte selber, das war in «Die Petroleusen» besonders speziell. Ich war immer wagemutig. Ich habe auch als Kind immer mit den Jungs gespielt. Als die Ringkampfszene angesetzt war, erschien auf dem Set – in Brigitte Bardots Kostüm – ein Mann. Er sollte sie als Double in der Szene ersetzen – ein Mann! Ich habe zu Brigitte gesagt, das ist doch lächerlich, die werden so die Kamera immer nur auf mich richten. Besser du spielst die Szene selbst. Wir üben das. Und wir haben schliesslich entschieden, dass wir es zusammen machen. Das war ein echter Kampf. Wir lieben den Film heute noch. 


BB gegen CC im Kampf um die Krone der Weiblichkeit «Les Petroleuses» von Christian-Jaque

Sie werden von anderen Schauspielerinnen und Schauspielern als grossartige Kollegin beschrieben. Was macht Ihre Qualität aus?

Ich kann Menschen nahe an mich heranlassen, ohne mich zu verlieren. Ich habe mit Mastroianni viele Filme gedreht. Er war ja immer auf der Jagd! Cherchez la femme! Ich habe Marcello bei einer Retrospektive in Paris überrascht. Da lebte er mit Catherine Deneuve, und er hat mich im Foyer geküsst. Dabei waren wir live im Fernsehen: «Non ne me frega niente», hat er vor laufender Kamerea gerufen – («mir doch wurscht», red).

Die Regisseure René Vautier und Jacques Baratier haben Sie als Erste in Tunesien entdeckt.

Ich war eine Wilde, mit sechzehn vor der Kamera. Die Direktorin der Schule musste meinen Vater beruhigen, als ich mit Omar Sharif drehte («Goha»): Er sei auch ein Araber.

«Ich habe den ersten arabischen Frühling schon vor Jahrzehnten in Tunesien erlebt.»

Sie kennen die Berührungspunkte der europäischen Kultur und der arabischen Kultur seit Ihrer Kindheit.

Ich kenne das Leben in Übergangssitutationen. Tunesien war ein französisches Protektorat. Es gab in meiner Kindheit viele Flüchtlinge; Russen, Juden, Sizilianer. Meine Nachbarin war eine Nachfahrin des Zaren. Und wenn mein Vater von ihr um Hilfe gebeten wurde, war meine Mutter sehr eifersüchtig.

Gab es keine religiösen Spannungen?

Feste wurden von allen gemeinsam gefeiert, ob die Katholiken feierten oder die Muslime oder die Kopten. Es gab keinen Religionskrieg. Alle wollten die Demokratie. Ich habe den ersten arabischen Frühling schon vor Jahrzehnten in Tunesien erlebt. Wir kämpften für die Demokratie. Für die Rechte der Frau. Für die Säkularisierung des Staates. Ich lebte immer an diesem Berührungspunkt der Kulturen. Ich lebe heute in Paris, eine der arabischsten Städte des Westens, wo es wiederum die Juden sehr schwer haben. Das ist dramatisch, mitten in einer Demokratie. Ich habe viele arabische und französische Freunde, klar. Aber ich bin Italienerin.



Immer mit den Jungs gespielt und immer noch neugierig auf Junge.

Immer mit den Jungs gespielt und immer noch neugierig auf Junge. (Bild: Nils Fisch)

Sie haben auch das italienische Stimmrecht?

Man will immer, dass ich meine Stimmzettel für Italien im Konsulat abgebe.

Und nicht in Frankreich?

Nein. Obwohl ich in Tunesien geboren bin. Die Franzosen haben eine eigenartige Bürokratie. Das zeigt sich daran, wie sie meinen Namen behandeln. Sie nehmen das E weg. Cardinal. Das klingt französischer. Ich lebe nun seit dreissig Jahren in Paris und heisse Cardinal. Ich bin damals wegen meiner Tochter nach Paris gezogen, weil ich mir wünschte, dass sie mit zwei Sprachen aufwächst.

Was würden sie heute einer jungen Schauspielerin mit auf den Weg geben?

Um diesen Beruf auszuüben muss man sehr gut in sich ruhen. Man wird in so viele Persönlichkeiten hineingesogen. Ich habe mehr als ein Leben gelebt, das ist wunderbar. Wer das  aushalten will, muss aber auch sehr stark sein. Ich bin Steinbock. Wir sind so.

Sie fühlten sich nie auf die Bühne gezogen?

Doch. Ich habe vier Mal auf der Bühne gespielt. Aber ich habe immer Angst. Vor der Kamera ist das etwas anderes. Wenn da etwas schiefgeht, kann man es wiederholen. Auf der Bühne bleibt das unverzeihlich. Ich war immer schon zwei Stunden vor meinem Auftritt auf der Bühne, vor lauter Angst…

Paris ist ein Schmelztiegel der Filmkünstler. Warum?

Es ist sicher die europäische Hauptstadt des Films. Die Franzosen haben die beste Finanzierung. Das hilft den Jungen. Italien kennt das nicht. Ich habe viel dafür gekämpft, dass mehr Ko-Produktionen entstehen.

Gehen Sie selber ins Kino?

Ich sehe Filme meist zu Hause. Ich erhalte sie als DVD, weil ich sie für die Césars und Oscars sehen darf.

Ihr Oscar-Favorit?

(lacht)

Ich sehe, Sie wollen uns nicht zu Geheimnisträgern machen. Aber ein Geheimnis dürfen wir noch erfahren, das uns seit der Jugend beschäftigt. Was muss ein Mann tun, damit Sie ihn heiraten?

Da könnte ich nichts raten. Nein (lacht). Ich wollte nie heiraten. Ich bin eine selbstständige Frau. Ich habe mit dem Vater meiner Tochter über viele Jahre zusammengelebt. Ich weiss also, was eine Ehe ist. Aber deshalb heiraten? Nein (lacht).

Sie haben einmal gesagt: «Die Ehe funktioniert nur, wenn beide ein wenig unverheirat sind.»

So ist das. Wenn beide selbständig sind, fühlt man sich auch zu zweit stark.

Gibt es einen Film, den Sie noch gerne machen würden?

Ich durfte viele meiner Träume erfüllen. Ich wollte Entdeckerin werden. Und durfte fast alle Länder durch die Arbeit kennen lernen. Ich arbeite heute sehr viel mit jungen Regisseuren. Weil ich sie fördern kann. Mich interessiert auch der Blick dieser Generation auf die Welt, und ihre Träume. Kino erfüllt Träume. Es wird dunkel im Saal. Und wir fangen an zu träumen. Dans le noir. Das ist fantastisch.

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Die Filme mit Claudia Cardinale laufen weiterhin im Stadtkino.

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