Das anarchische Ethno-Kino des Emir Kusturica

Der magische Realist aus dem Südosten, der Herold des Wahnsinnigen und Absurden, der Fellini des Balkans. Emir Kusturica ist der im Westen bekannteste Spross des jugoslawischen Films. Das Stadtkino zeigt im Mai und Juni eine Rückschau seiner Werke. Der magische Realist aus dem Südosten, der Herold des Wahnsinnigen und Absurden, der Fellini des Balkans. Emir […]

Emir Kusturica, hier als Musiker.

Der magische Realist aus dem Südosten, der Herold des Wahnsinnigen und Absurden, der Fellini des Balkans. Emir Kusturica ist der im Westen bekannteste Spross des jugoslawischen Films. Das Stadtkino zeigt im Mai und Juni eine Rückschau seiner Werke.

Der magische Realist aus dem Südosten, der Herold des Wahnsinnigen und Absurden, der Fellini des Balkans. Emir Kusturica ist der im Westen bekannteste Spross des jugoslawischen Films – und einer, der die Bilder aus den Nachfolgestaaten des Reichs Titos für das westliche Kino geprägt hat.

Wie sein musikalischer Compadre Goran Bregovic hat Kusturica dem Westen den Balkan als Operette vorgestellt, mit einem (meist durch den Schnaps) enthemmten Personal, beweihraucht von Melancholie, exzessiv in der Lebensfreude und unempfänglich für die spröde Ratio. Und, auch das gehört zu Kusturica, fieberhaft ergeben der eigenen Sippe, der Gemeinschaft, dem Blut und Boden. Daraus resultiert manchmal ein überbordendes, gleichwohl geschmäcklerisch gezeichnetes Ethno-Kino, das in seiner Überspitzung ästhetisch seinem selbst konzipierten serbischen Musterstädtchen Andricgrad gleicht.

Doch in der Mehrheit, vor allem in seiner definierenden Phase der 80er und 90er Jahre, waren seine Werke anarchische Überwältigungsfilme, in denen von vom Slapstick zum Pathos, von der Groteske bis zum Drama alles drin liegt – so lange der Mensch, sein Schicksal und sein Überleben nicht aus dem Fokus fallen. Das Stadtkino Basel zeigt im Mai und im Juni eine Rückschau auf Kusturica, unter anderem mit diesen Filmen:

1. «Arizona Dream», 1992

Kusturicas filmischer Durchbruch im Westkino verdichtet alles, wofür er verehrt wird – eine symbolreich ausgestattete Story, verrückte bis tragische Charaktere, eine Geschichte von Selbstermächtigung, Fall und Freiheit – und Bilder mit einer überwältigenden Kraft, die man in Hollywood selten zu sehen kriegt. Kusturica schickt in «Arizona Dream» Johnny Depp, seither ein Kumpel des Regisseurs, auf eine Destruktionsreise des amerikanischen Traums, in der sich Familien zerrütten, Liebende in Schmerz und Ekstase versenken und die Verzauberung Einzug in die kleinen Leben hält.
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So, 3.5., 20:00

So, 24.5., 17:30

So, 7.6., 20:45

So, 14.6., 15:15

2. «Papa ist auf Dienstreise (Otac na sluzbenom putu)», 1985

Sarajevo 1950, die Jahre nach Titos Bruch mit Stalins Sowjetunion. Malik ist ein sechsjähriger Junge, der mondsüchtig ist und nachts schlafwandelt – denn er vermisst seinen Vater. Der ist schon länger auf «Dienstreise», wie ihm die Mutter erklärt. In Wahrheit steckt er jedoch in der Verbannung – nicht aus politischen Gründen, sondern weil er eine Affäre mit einer attraktiven, jüngeren Frau pflegt, die gleichzeitig von einem Parteisekretär der Kommunisten umworben wird. «Papa ist auf Dienstreise» ist, dem Plot zum Trotz, keine politische Milieustudie über die Kleingeistigkeit derjenigen, die durch politische Wandel unverhofft in Machtpositionen rücken, sondern ein von tiefer Menschlichkeit und Empathie getriebener Film. Kusturicas Bildsprache ist hier eher feinsinnig poetisch denn krachend skurril, doch etwas ist in diesem ersten internationalen Erfolgswerk bereits ausgearbeitet: der bissige Humor, der nötig ist, um dem Leben zu trotzen. Dafür gab es 1985 die Goldene Palme von Cannes.
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Sa, 2.5., 17:30

Fr, 8.5., 21:00


Mo, 18.5., 18:30

3. «Die Zeit der Zigeuner (Dom za vesanje)», 1988

Die Entdeckung der Magie: Eine Gabel fliegt als Mordwaffe durchs Zimmer und ein Truthahn gen Himmel, Kirchen gehen in Flammen auf und eine Braut schwebt über die Dächer. «Die Zeit der Zigeuner» ist Kusturicas stilbildender Film zur Lebenswelt der Roma. Während auf der Tonspur Goran Bregovic die scheppernden Weisen trötet, erzählt Kusturica die Coming-Of-Age-Story von einem jungen Roma namens Perhan, der zwar über magische Kräfte verfügt, aber dennoch seinen Abrutsch in die Kriminalität nicht verhindern kann. Kusturicas Hintergrundthema sind die saisonalen «Arbeitsreisen» jugoslawischer Banden in westeuropäischen Metropolen: Diebstahl, Schmuggel und Handel mit Babys, sadistische Abrichtung von Kindern zu Bettelei, Raub, Betrug und Prostitution. Er zeigt ein Stück Dritte Welt in der Gosse der Ersten, eine Gemeinschaft, die verkommt, weil es ausserhalb der Kriminalität kaum Arbeit zum Überleben gibt, ein Volk, dessen legendärer Stolz nur noch in sinnloser Messerstecherei triumphiert. Auch hier beeindruckt Kusturicas Bilderflut, selten war sein Kino jedoch so düster in seinem Schulterschluss mit den Ausgestossenen.
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Fr, 1.5., 21:00

Fr, 22.5., 21:00

So, 14.6., 20:15

4. «Chat Noir, Chat Blanc», 1998

Nicht mehr mit dem Unterton der tristen Sozialreportage, sondern mit dem Charme eines Bauernschwanks erzählt Kusturica seinen zweiten grossen Zigeunerfilm. «Chat Noir, Chat Blanc» ist eine heillos überwältigende Freakshow voller schiefer Gesichter, kaputten Zähnen, besoffenen Kleingangstern und aus dem Tod zurückkehrenden Patriarchen. Auch hier geht es um einen Roma-Knaben, dem das Leben und die Liebe von den Gepflogenheiten der Sippe vorerst vereitelt wird. Kusturica hält die Geschichte zugunsten der brachialen Groteske eng im Zaum. Zum Schütteln der Slapstick, zum Staunen die anarchische Lebenslust, während erneut Goran Bregovic das Tempo musikalisch hochhält. Hier hatte sich Kusturica seinen Titel als «Fellini des Balkan» abverdient und in den Neunzigern, während das ehemalige Jugoslawien blutig auseinander brach, eine bunte, derb-bodenständige Fantasiewelt geschaffen, während die Realität unerträglich wurde. Die trinkfreudige Exotik, die seither vom Westen im Balkan gesucht wird – sie wäre ohne diesen Film nicht denkbar.
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So, 10.5., 15:15

Mi, 20.5., 21:00

Sa, 23.5., 17:30

So, 21.6., 15:15

5. «Underground», 1995

Eine Parabel auf den Bruderkrieg, der dem Vielvölkerstaat Jugoslawien ein Ende setzte. Im Zweiten Weltkrieg geht nach der Besetzung Jugoslawiens durch die Deutschen eine Gruppe Partisanen buchstäblich in den Untergrund und versteckt sich in einem Bunkerlabyrinth unter dem Stadtgebiet Belgrads. Für den Widerstand bauen und schmieden sie dort Waffen, die sie durch einen Schwarzmarkthändler nach oben schmuggeln. Für den erweist sich der Handel mit den Waffen als derart einträglich, dass er die Partisanen auch nach Kriegsende im Glauben lässt, die Kämpfe dauerten an und simuliert mittels gefälschter Radioberichte weiterhin den Kriegsalltag. Bis die Widerständler nach zwanzig Jahren misstrauisch werden und aus dem Untergrund steigen. «Underground» ist Kusturicas Abgesang auf die binnenjugoslawische Brüderlichkeit – hier täuscht, belügt und betrügt, wer kann, als sei Verrat und Vendetta ein Grundgesetz des Balkans. Fatalistisch blickt der Regisseur auf seine ehemalige, zerbrochene Heimat, und betäubt seinen Schmerz mit köstlichem schwarzem Humor.
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So, 10.5., 20:00

Mo, 25.5., 20:00

Sa, 20.6., 15:15

6. «Super 8 Stories», 2001

Musik ist ein wesentlicher Teil von Kusturicas Filmen, vor allem jener als Balkan-Sound stilisierte Mix mit dem Tempo des Punk, den Weisen aus der Bukovina und den Ufern des Donau und dem Cross-Culture-Anspruch, der die slawischen, muslimischen, albanischen, jüdischen Spuren der Region sich einverleibt. Häufig hat Kusturica dafür auf seinen engen Gefährten Bregovic zurückgegriffen, aber er ist auch selbst unterwegs: Die No Smoking Band (Zabranjeno pušenje) entstand in den 1980er Jahren als Garage-Band in Sarajevo, Kusturica trat 1986 als Bassist bei. Die Band trennte sich 1994 in einen bosnischen und einen serbischen Teil – letzterer ist der berühmte, der den Bandnamen nun auf Englisch trägt und seither dann und wann erfolgreich durch Europa tourt – und die Shows gerne als nationalistische Feier für eine Grossserbien inszeniert. Das Wesen dieser Band hat Kusturica mit «Super 8 Stories» selbst festgehalten: eine Musikdokumentation, die an Wim Wenders «Buena Vista Social Club» erinnert, aber im Stile von Kusturica: laut, schrill, schnell und manchmal höchst komisch.
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Sa, 02.5., 22:30

Mi, 06.5., 21:00

Mi, 17.6., 18:30

7. «Words With Gods», 2014

Eine Schweizer Kinopremiere: «Words With Gods» ist keine Alleinarbeit Kusturicas, sondern ein Episodenwerk von neun Regisseuren, entwickelt vom Mexikaner Guillermo Arragia, das einen Bogen quer durch die Welt spannt – von Lateinamerika nach Israel, von Japan bis in den Balkan Kusturicas. Ausgelotet werden dabei die Verschränkungen von realer und spiritueller Welt der jeweiliger Region, aufgereiht in einem Zyklus, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. In Kusturicas Beitrag «Our Life» handelt von einem orthodoxen Mönch, der rituell Säcke voller Steine auf einen Berg schleppt, um sie dort zu entleeren. Der von einer ruhigen Melancholie getragene Kurzfilm zeigt visuell einen völlig anderen Kusturica als seine Operetten voller menschlichem Schalk und krachender Tragik: Hingabe, Opferbereitschaft, Vertrauen in grössere Zwecke. Ein vorläufig sanfter Ausklang einer bisher sehr lebensnahen Filmkarriere.
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Mo, 25.5., 15:00

Fr, 12.6., 21:00

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