Der erste Gleichstellungsbericht zeigt: Beim Beschäftigungsvolumen bildet der Kanton Baselland gesamtschweizerisch fast das Schlusslicht.
Wenn es um Kopftücher und Burkas geht, spielen auch bürgerliche Politiker gerne den Gleichstellungsadvokaten. Geht es dagegen um die eigenen Frauen, heisst es immer wieder, die Gleichstellung sei erreicht. Mit diesem Argument forderten SVP und FDP in Baselland schon mehrere Male die Abschaffung der Fachstelle für Gleichstellung.
Doch jetzt steht es schwarz auf weiss: Die Gleichstellung im Baselbiet ist alles andere als erreicht. Wenn es um die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern geht, liegt der Kanton schweizweit sogar auf dem 24.Platz. Nur in Uri und Nidwalden haben es die Frauen schlechter. So wurden im Jahr 2013 nur 35 Prozent der bezahlten Arbeit im Baselbiet von Frauen erledigt. Das zeigt der erste Gleichstellungsbericht des Kantons. Die Fachstelle für Gleichstellung hat dafür die Zahlen des Statistischen Amts Basellandschaft ausgewertet.
(Bild: Gleichstellungsbericht BL)
Und es wird nicht besser
Die Frauen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, tun dies zu schlechteren Bedingungen: Nur 16 Prozent der Frauen haben eine Vorgesetztenfunktion, bei den Männern sind es 25 Prozent. Und das scheint sich auch nicht zu ändern, wie Jana Wachtel von der Fachstelle für Gleichstellung sagt: «Die Zahlen sind seit zehn Jahren praktisch gleich.» Und sogar, wenn sie eine Kaderstelle haben, gibt es noch einen mächtigen Unterschied: Frauen verdienen im Kader 22 Prozent weniger, in der Finanz- und Versicherungsbranche sind es sogar 30 Prozent.
(Bild: Gleichstellungsbericht BL)
Einer der Gründe für die grossen Unterschiede: Sobald die Kinder kommen, reduzieren die Frauen ihre Arbeit, zwei von fünf Frauen hören ganz auf. Und die Männer? Sie stocken auf. Das kommt nicht von ungefähr: In den meisten Baselbieter Gemeinden haben die Eltern schlicht keine Möglichkeit, ihre Kinder in gute Hände zu geben, während sie arbeiten gehen. Der Kanton ist eine Krippenwüste: Pro 100 Kinder unter drei Jahren gibt es in Baselland, je nach Gemeinde, 0 bis 5 familienergänzende Betreuungsplätze, wie der Bericht zeigt. Das sind 0.05 Betreuungsplatz pro Kind. Zum Vergleich: In Basel-Stadt sind es 20 bis 60 Plätze und die Eltern haben laut Gesetz ein Recht darauf, innert drei Monaten einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu bekommen.
(Bild: Gleichstellungsbericht BL)
Regierung hat keine konkreten Massnahmen
Anton Lauber, Regierungsrat der CVP (das ist die Partei, die sich gerne Familienpartei nennt), sagte an der Medienkonferenz von Donnerstag, es sei erklärtes Ziel der Regierung, in Gleichstellungsfragen mit dabei zu sein. Und fügte an: «Wir werden die Gleichstellungspolitik nicht neu erfinden.»
Eine Neuerfindung wäre auch nicht nötig, doch ein politischer Plan wäre angesichts des drittletzten Platzes keine schlechte Idee. Doch auf die Frage, was die Regierung genau plane, um die Situation für die Baselbieterinnen zu verbessern, schlägt Lauber keine konkreten Massnahmen vor. Man werde mit der Verwaltung und dem Landrat weitere Schritte diskutieren, sagt er. Ausserdem habe der Kanton mit der Erarbeitung des Gesetzes für die familienergänzende Kinderbetreuung bereits einen «wichtigen Schritt getan». In der Tat schaffte es die Politik nach jahrelangem Hickhack letztes Jahr endlich, dem Volk ein solches Gesetz vorzulegen. In Kraft ist es aber noch nicht.
Nicht alle wollen Gleichstellung
Glaubt man Anton Lauber, ist das in vielen Dörfern aber gar kein so grosses Problem. «Im oberen Baselbiet helfen sich die Leute gegenseitig aus, da klopft ein Kind auch einmal bei den Nachbarn, wenn die Eltern nicht daheim sind.» Aus seiner Sicht hätten nicht alle Baselbieter grosse Freude, wenn die Gleichstellung wirklich erreicht würde. «Dann wäre der Mann da und die Frau dort und die Kinder ganz woanders.»
Für die betroffenen Baselbieterinnen geht die Situation aber ins Geld: Nicht nur haben sie heute weniger Lohn auf dem Konto, sie drohen auch im Alter zu verarmen. Denn wer wenig arbeitet, zahlt häufig auch nichts in die Pensionskasse ein und lebt nur von der AHV. 22 Prozent der über 65-jährigen Frauen in der Schweiz hatten im Jahr 2012 nur eine AHV-Rente, bei den Männern waren es nur acht Prozent. Dementsprechend müssen auch mehr Frauen (15 Prozent) Ergänzungsleistungen beziehen als Männer (9 Prozent). Zwar gibt es fürs Baselbiet alleine keine separaten Zahlen dazu, doch beim Schlusslicht dürfte das Licht besonders hell leuchten, und zwar rot.
Doch noch eine gute Nachricht zum Schluss: In der Politik ist Baselland fortschrittlich. 38 Prozent der Landrätinnen und Landräte sind Frauen, das ist im Schweizer Vergleich ein Spitzenplatz, im Durchschnitt liegt die weibliche Vertretung in Kantonsparlamenten unter 30 Prozent.
Artikelgeschichte
In der ersten Fassung stand noch nichts vom Baselbieter Spitzenplatz punkto weiblicher Vertretung im Kantonsparlament. Doch diese schöne Nachricht sollte man den Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten.