Widersprüche und Widerreden jagten sich in Bern, nachdem Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand am Montag Nachmittag seinen Rücktritt erklärt hatte. Denn ein neu veröffentlichter E-Mail-Verkehr wirft neue Fragen auf.
Zuletzt kamen am Abend noch die nationalen Parlamentarier vor die Medien. «Die Kommission hat sehr bedauert, dass Herr Hildebrand zurücktritt», sagte der CVP-Chef und Präsident der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK), Christophe Darbellay: «Seine Kompetenz und sein Engagement wurden gewürdigt.» Auf Nachfrage räumte Darbellay dann ein, das Reglement der Nationalbank (SNB) für Eigenhandel ihrer Direktionsmitglieder und deren Angehörigen müsse «verschärft werden». Dazu habe die Kommission jetzt verschiedene Berichte angefordert. Und die SNB müsse «Vorschläge machen». Darbellay hielt grundsätzlich fest: «Der SNB-Chef soll nicht spekulieren.»
Hildebrands starker Abgang
Das habe er auch gar nicht getan, hatte SNB-Präsident Philipp Hildebrand am selben Ort im Medienzentrum des Bundeshauses nur drei Stunden zuvor beteuert: Am 15. August habe seine Frau Kashya Hildebrand ohne sein Wissen für 400’000 Franken Dollars gekauft. Das könne er mit E-Mails belegen, die inzwischen im Internet veröffentlicht worden seien. Dennoch trete er jetzt sofort zurück, weil er «das leider nicht beweisen» könne.
Die gleichzeitig unter Darbellays Leitung tagende WAK verfolgte Hildebrands Auftritt vor den Medien am Bildschirm. Er sei sehr traurig, dass er nun «im Interesse des Landes und der Nationalbank» zurücktreten müsse, sagte Hildebrand. Im Unterschied zu anderen Leuten habe er in dieser ganzen Sache aber «immer die Wahrheit gesagt». Die meisten Medienleute im Saal zeigten sich beeindruckt von Hildebrands Überzeugungskraft. Bis sie die oft zitierten E-Mails im Wortlaut lasen, die sie zuvor ebenso wenig gesehen hatten wie die Mitglieder der WAK. Denn da zeigten sich Widersprüche. «Ich erinnere mich auch, dass Du in unserer Konversation gestern gesagt hast, wenn Kashya den Dollar-Anteil erhöhen wolle, seist Du damit einverstanden.» So schrieb Hildebrands Finanzberater Felix Scheuber diesem etwa mit Datum vom 16. August 2011 wörtlich. In einem PS macht Scheuber die Hildebrands («both of you») auf weitere «schon gestern kurz diskutierte» einmalige Investitionsmöglichkeiten («unique investment opportunities») aufmerksam, mit denen sich treffliche Kapitalgewinne («capital gains») machen liessen.
Gestern («yesterday») wäre jedoch jener ominöse 15. August, an dem Frau Hildebrand die «dollar exposure» der Familie zu einem «lächerlich günstigen» Preis, wie sie dem Schweizer Fernsehen mitteilte, durch Scheuber um gut eine halbe Million hatte erhöhen lassen. SNB-Chef Philipp Hildebrand, der wiederholt behauptet hatte, er habe davon nichts gewusst, hatte dies nach Darstellung seines Finanzberaters schon am 15. August mit diesem besprochen und nichts dagegen gehabt. Scheuber dazu wörtlich: «I also remember you saying in our yesterdays conversation that if Kashya wants to increase the USD expsure then it is fine with you.»
Als des Englischen kundige Journalisten den Wortlaut der E-Mails auf der – zwischenzeitlich unter dem Ansturm der Abfragen in die Knie gegangenen – Website der SNB zur Kenntnis nehmen konnten, war Hildebrand jedoch schon weg: Kritische Nachfragen waren nicht mehr möglich, da er einen Termin bei der WAK des Nationalrats hatte.
Blochers gelassener Auftritt
Dafür trat gleich darauf dessen grosser Widersacher, SVP-Nationalrat Christoph Blocher, im Medienzentrum auf. «Nicht ein Lügengebäude» habe Hildebrand rund um seine privaten Devisen- und Aktienhändel aufgebaut, sagte der SVP-Mann. «Wohl aber ein Gebäude aus Unwahrheiten hochgezogen.» Schon im November sei er «von mehreren glaubwürdigen Leuten» darauf aufmerksam gemacht worden, dass «Direktoren der SNB nebenbei mit Devisen handelten», sagte Blocher. Das habe er zuerst nicht geglaubt, weil er es gar nicht für möglich gehalten habe: «Keine Notenbank der Welt erlaubt so etwas.» Dann aber habe er konkrete Hinweise auf solche Transaktionen seitens des SNB-Präsidenten Hildebrand selber erhalten. Und gleich nach seiner Vereidigung als Nationalrat habe er Anfang Dezember diese Gerüchte in mehreren Treffen der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey mitgeteilt. «Sie hat das sehr ernst genommen und mit der nötigen Diskretion behandelt», berichtete Blocher. Er selber habe auch Stillschweigen bewahrt.
Hildebrand musste in dieser Sache dann am 16. und erneut am 23. Dezember dem Gesamtbundesrat Rede und Antwort stehen. Erst nachdem weder die Landesregierung noch der Bankrat als Oberaufsichtsbehörden wirksam etwas gegen die Machenschaften in der SNB unternommen hätten, sei der Whistleblower aus der Bank Sarasin dann offenbar an die Medien gelangt, erklärte Blocher weiter. Er selber habe seine Informanten, deren Namen er «nie verraten» werde, vor einem solchen Schritt gewarnt.
Mit gutem Grund: Der Mann, der die verdächtigen Transaktionen auf Hildebrands Konto festgestellt und über einen Anwalt diese Machenschaften publik gemacht hatte, sieht sich nun mit einem Strafverfahren konfrontiert und ist in psychiatrischer Behandlung. Auf die Frage, ob solche Whistleblower nicht besser geschützt werden müssten, antwortete WAK-Präsident Darbellay, das sei «in der Kommission kein Thema gewesen». Und Blocher meinte, er sei schon lange für einen besseren Schutz dieser Warner. «Wer das Bankgeheimnis bricht, sollte auf jeden Fall vor Gericht gebracht werden», präzisierte der gelernte Jurist und frühere Schweizer Justizminister dann: «Der Richter sollte jedoch ausnahmsweise von einer Bestrafung absehen können, wenn höhere Interessen dagegen stehen.»