Die Auswahl war reich. Doch Preise kriegen nur wenige. Am Samstag abend gab die Jury die Preisträger des Nachwuchs-Filmfestivals bekannt.
Die Sieger vom Gässli-Festival heissen: «Freunde» von Luca Ribler, «Dolphin Champion» von Nico Schmied und «Lügner» von Gianna Arni.
«Freunde»! Der Sieger überzeugt mit authentischer Form und Spiel mit dem Medium
Die Jury hat am Samstagabende den Film «Freunde» mit Recht zum Sieger gemacht: Er hat am spannendsten und gleichzeitig am riskantesten von allen eingereichten Filmen Jugendlichkeit präsentiert. Luca Riblers «Freunde» chillen, lungern mit einer Kamera zu Hause rum, sehen fern, sich im Fernsehen, bis Sandro, Selina und Tanner beschliessen, einen Film zu drehen. Sie produzieren erst einmal lauter erste Einfälle, Talentshow-Spielereien, sie kokettieren mit Slang, Slam und Ganovenrap. Kein Film des Festivals hat die Zuschauer so einleuchtend zum Film verführt.
Ribler gelingen dabei schöne Medien-Anspielungen. Er hält uns aber erst wirklich bei der Stange, als klar wird, worauf Tanner hinaus will: Er will mehr von Selina. Er will einen Porno drehen. Da bricht die anfänglich angedeutete TV-Reality auch die Narration. Als viele die Erzählung aus den Fugen, stellt sich plötzlich heraus: Sandro ist verliebt. Da haben solche Spielchen keinen Platz. Die Auflösung ist dann offen, ganz ohne TV-Ästhetik, als die Grenze des Machbaren in Sicht kommt.
«Dolphin Champion» ein Sieger mit Siegerinnen
Noch souveräner bringt Nico Schmied in «Dolphin Champion» seine Bildwelt auf den Punkt. Er geht dem Geheimnis des ersten Gleichschritts in der Liebe auf die Spur: bei Synchronschwimmerinnen. Das macht ein Musikvideo so spannend – wenn es seine Assoziationen freien Lauf lässt und doch einer Linie folgt: Schmied stellt sich der Musik, indem er sich ihr entgegenstellt, weiterdichtet.
Aus einem sterilen Synchronschwimmerinnen-Auftritt wird eine grandiose Liebesschrei, in kühlem Pathos erzählt. «So we will do, what we all do» Das ist schlicht und spielt mit den Clichées der Schwimmerinnen und Musiker und führt sie gleichzeitig auch gekonnt zur Musik vor. Was für ein herrliches Gegensatzpaar diese Mädchenwelt in der Jungswelt bildet, wird erst deutlich, wen die Jungs im Band-Ornat untertauchen. Für die Jungs noch ungewohnt, in der künstlich freundlichen Frauenwelt obenauf zu schwimmen.
Andere Meistbeachtete
Auch Gianna Arni wurde für ihren «Lügner» -Krimi an der Bar mit einem Preis (U20) bedacht. Damit gingen andere, ebenfalls Beachtete, leer aus. Z. B. Viola von Scarpatetti, die in «Poupée» das Schicksal einer Schaufensterpuppe aus der Nacht an den Tag holte. Oder Camillo Galli, der in «Canis Latrans» Hermann Hesses Steppenwolf auf der Spur war.
Ein fast schon altmeisterliches Gesellenstück lieferte zum Beispiel Bigna Tomschin mit «Tapeten»: Mutter muss erfahren, dass der Sohnemann seine Freundin gewechselt hat. Rasch werden jetzt die Wände dünn im Heim der Familie an der Goldküste: Auch der Vater ist seit zwei Monaten bei einer anderen. Da wirkt die Fröhlichkeit der kleinen Schwester über das neue Meerschweinchen wie ein roter Fleck in einem bedrückenden Böcklin-Bild.
Das inszeniert Tomschin subtil, ohne die Geheimnisse der Figuren vorschnell zu entlarven. Fast zu souverän geht «Tapeten» mit den Bildern um, lässt routiniert nach dem offenen Streit alten Wein wegschütten, bringt mitten im Männergespräch die Mutter aus den Vorhängen zum Vorschein. Da spricht viel Hochschulglätte.
Doch Tomschin kann weit mehr: die Andeutungen des Textes mit den Assoziationen der Bilder verbinden, z.B. das schafft auch einen klugen Rhythmus: Abzulesen etwa am kleinen Schwesterlein, das wie unberührt von den Turbulenzen, nur immer wieder darauf besteht, dass es ein Meerschweinchen hat, nicht einen Hamster – und dieses sanft in den Schlaf singt.
Wir erfahren nur das Nötigste, um gespannt zu sein, wie es weiter geht. Schade, dass es das nicht tut.
Gross statt Klein
Das Programm des Festivals hat aber auch gezeigt, wieviel Ungezügeltes und Schräges der Nachwuchs für die Zukunft erhoffen lässt. So auch Viviane Andereggen, die in «Gross statt Klein» einen hübschen Besuch im Mutterbauch abstattet und uns eine ungewöhnliche Mutterablösung erzählt:
Der Erwachsene Günther will nämlich den Mutterleib keineswegs verlassen. Er will noch nicht in die Welt hinaus müssen. Er verspricht auch, wieder aufzuräumen, und nicht mehr laut zu spielen. Mutter kann er damit nicht überzeugen. Die Ärztin sieht dringenden Handlungsbedarf: Sie erklärt dem Jungen durch den Muttermund sogar das Gebot der Stunde. Doch dann nehmen die Dinge im – Kleinen statt im Grossen – plötzlich einer überraschende Wendung.
Viele schöne Versprechen an die Zukunft
Ebenso mit einer brilliant einfache Grundidee überzeugt Josh Staub – mit einer kompletten, feinen Verfilmung des Facebook – 1. Teil. Er ironisiert die optische Erscheinung der sozialen Netzwerke, er vollzieht die Schlagzeilengebung nach, und kriegt hier noch ein: Likeit!
In «Anruf» lässt Raphael Schulze-Schilddorf den Zufall persönlich anrufen: Der Rohstoffhändler Viktor (Urs Bihler als gewiss gewissensgeplagter Geldmann) fühlt sich gezwungen, dem Klingeln in einer Telefonkabine am Bahnhof nachzugeben. Doch aus dem Zufall entwickelt sich ein weitgehender Wandel: Ein Fremder macht Viktor Vorhaltungen. Ob er sich eigentlich über seine Art mit Geld umzugehen schon einmal nachgedacht habe?
Viktor macht sich weiter keine Gedanken. Die Telefonkabine jedoch hat’s in sich: Als es beim nächsten Vorübergehen erneut klingelt, wird Viktor rasch klar, wer ihn da anruft. In einem absurden Dialog über Geld verteidigt er sich zwar. Aber als er die Telefonkabine verlässt, gibt er dem Bettler Geld, so rasch, als müsste er vor ihm fliehen.
Ein Kleinbasel-Thriller
In «Angst» lässt Noan Schaulin seinen Protagonisten in einen kleinen Thriller durch das Kleinbasel wandern: „Passed uff, gäll!“ klingt Mamas Mantra in den Ohren: Das mag Marco nicht, wenn er abends mit seinen Kumpels ausgeht. Aber als er mit auf dem Barfi steht, finden auch seine Kollegen, im Kleinbasel sei es gefährlich.
Die Nacht am Nordufer des Rheins entpuppt sich tatsächlich als ein Blendwerk. Mit narrativer Geradlinigkeit narrt uns der Film mit Schreckbildern – z.B. dem Drachenbrunnen.
Wars das, was die Jugend beschäftigt? Wer sich dafür interessierte, der hat am Gässli-Festival zumindest ein breites Spektrum gefunden in den Film-Nächten hinter dem Barfüsserplatz: Vielversprechend, mit zufriedenen Siegern, angeregten Besucherinnen gingen sie zu Ende – und, nachdem das Licht ausging, blieb eine leere Leinwand. Die wartet nun auf das nächste Lichtspiel.