Das Gegenmodell: Mikrokosmus «Karls Kühne Gassenschau»

Man kann jene Theater-Aufführungen, bei denen das Publikum vor Entzücken mittendrin aufsteht, jubelt, oder manche Zuschauerinnen einfach den Mund vor Verblüffung nicht mehr schliessen können, an einem einzigen Finger aufzählen: «Karls Kühne Gassenschau» Wer die Truppe in den Achtzigerjahren erlebt hat, konnte von der Vatieté-Truppe noch mitten auf der Strasse angefahren werden. In ihren Anfängen […]

Ehret die Anfänge

Man kann jene Theater-Aufführungen, bei denen das Publikum vor Entzücken mittendrin aufsteht, jubelt, oder manche Zuschauerinnen einfach den Mund vor Verblüffung nicht mehr schliessen können, an einem einzigen Finger aufzählen: «Karls Kühne Gassenschau»

Wer die Truppe in den Achtzigerjahren erlebt hat, konnte von der Vatieté-Truppe noch mitten auf der Strasse angefahren werden. In ihren Anfängen tauchte die Gassenschau auf Parkplätzen auf, stürzte sich von Baugerüsten, fuhr mit Autos in den Stau. Im Laufe der Jahre entwickelte die Truppe ihren eigenen Stil, ihre eigene Sprache. Heute muss man zu ihnen hinfahren. In Steinbrüche. In Kiesgruben. An abenteuerliche Orte. Dort geht dann die Post ab.

Man kann jene Theater-Aufführungen, bei denen das Publikum vor Entzücken mittendrin aufsteht, jubelt, oder manche Zuschauerinnen einfach den Mund vor Verblüffung nicht mehr schliessen können, an einem einzigen Finger aufzählen: «Karls Kühne Gassenschau»

Die echte freie Szene ist freie Szene geblieben

«Karls Kühne Gassenschau» war von Beginn weg Spektakel, Kabarett, Theater, Zirkus in einer unbändigenden Mischung: Die Gründer Brigitt Maag, Paul Weilenmann, Markus Heller und Ernesto Graf sind heute noch das geistige Zentrum und der Kern der Truppe.

In der Zwischenzeit haben mehrere Hunderttausend Zuschauer die Aufführungen in der Schweiz gesehen. «Silo8», «Akua», «Fabrikk» u.a. haben jeweils rasch Kult-Status erreicht.

«Karls Kühne Gassenschau» ist eine nationale Institution geworden, und weit mehr als das: Heinz Winter macht das in seinem Dokumentarfilm über den «Mikrokosmos Gassenschau» deutlich. «Karls Kühne Gassenschau»  ist eine Form von Zusammenleben und zusammen sein Leben riskieren. Die Beteiligten von «Karls Kühne Gassenschau»  arbeiten und essen zusammen, tüfteln, schuften und fliegen und festen gemeinsam.

Der künstlerische Gegenentwurf zum technokratischen Modell

Der Film über die Truppe kann uns jetzt zeigen, was wir schon immer vermuten durften: dass hinter all der Verspieltheit jede Menge Kunst und Anstrengung steckt. Heinz Winter vermittelt, selber einst einer der Mitarbeiter der Truppe, ein Bild von den Wagnissen, mit denen die Truppe allabendlich Leichtigkeit und Zauber verbreitet.

Der Gassenschau gehörte, mit Verlaub, längst der Titel eines «Schweizerischen National-Zirkus» verliehen, wenn sie nicht weit mehr wäre: Diese Truppe fasst Tinguely, Signer, Rist, Hutter, Luginbühl und  Schmetterding zu einem Gesamtkunstwerk zusammen, das uns etwas näher beim Himmel wohnen lässt: unter einem freien Himmel!

Das ist es nämlich, was uns der Film von Heinz Winter so nahe bringt: Diese Truppe hat einen kreativen Austausch entwickelt, der nicht nur herzerfrischend unterhaltsam ist, sondern extrem profitträchtig. Am Rande des finanziellen Abgrundes haben die Gassenschau-Leute einen unbezahlbaren Wert an Know-how der Phantasie geschaffen. Sie ist das menschliche Gegenmodell der technokratischen Schweiz, ein Mikrokosmos der Kunst.

Im Gegensatz zu den Lebensmittel-Spekulanten und Zinspickern, die diese Truppe in ihren Aufführungen aufs Korn nehmen, stellen sie die Praktiker des Grand Magic Circus dar und repräsentieren eine Gegenwelt: Diese Gassenschau verkörpert die Schweiz der Kunst und der Künstler. Wer sie an einem Sommerabend hat sehen können, sollte sich die Sommergefühle jetzt im Kino etwas auffrischen lassen. Da wird einem warm ums Herz.

 

Der Film läuft ab Donnerstag in den Kult-Kinos.

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