Das J’Accuse des scheidenden Chefredaktors

Der scheidende Chefredaktor von «20 Minuten Online», Hansi Voigt, redet Klartext. Im Interview mit dem «Sonntag» spricht er über den Medienwandel an sich und darüber, was in der Schweizer Medienlandschaft schief läuft. Wir haben die Kernaussagen zusammengestellt. Der scheidende Chefredaktor von «20 Minuten Online», Hansi Voigt, redet Klartext. In einem Interview mit dem «Sonntag», das heute erschienen […]

Portrait von Hansi Voigt, Chefredaktor 20 Minuten Online, aufgenommen am 16. September 2010 am Schweizer Medienkongress in Pontresina. (KEYSTONE/Martin Ruetschi)

Der scheidende Chefredaktor von «20 Minuten Online», Hansi Voigt, redet Klartext. Im Interview mit dem «Sonntag» spricht er über den Medienwandel an sich und darüber, was in der Schweizer Medienlandschaft schief läuft. Wir haben die Kernaussagen zusammengestellt.

Der scheidende Chefredaktor von «20 Minuten Online», Hansi Voigt, redet Klartext. In einem Interview mit dem «Sonntag», das heute erschienen ist, spricht er über den Medienwandel an sich und darüber, was in der Schweizer Medienlandschaft schief läuft.

Ein Interview, das noch zu reden geben wird. Eine Zusammenstellung einiger Kernaussagen: 

Über Journalismus im Netz und Medienkompetenz

Ein durchschnittlicher «20 Minuten»-Online-Journalist verfügt über mehr Medienkompetenz als 90 Prozent der Journalisten in meiner früheren Print-Zeit.

Alle fluchen immer über die Live-Ticker. Dabei sind Ticker eine relativ ehrliche Art der Berichterstattung. Du musst aber immer klarmachen, was gesichert ist und was nicht.

In Online-Medien gehört das Augenzwinkern dazu. Die entscheidende Frage ist, wie viel man den Medienkonsumenten zutraut. Die Medienkompetenz des Publikums ist inzwischen sehr gross.

Klicks sind die uninteressanteste Währung überhaupt. Wer nur auf Klicks achtet, dem fehlt das journalistische Bauchgefühl. Portale, die nur auf Klicks schauen, verlieren sehr schnell an Relevanz.

Über Medienwandel und Konvergenz

Als Chefredaktor eines Online-Portals machst du ein Programm, keine Ausgabe. Hier machen die Verlage auch den grössten Fehler: Online wird wie der nicht-gedruckte Teil einer Zeitung behandelt.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Konvergenz, solange nicht Printdenken über den Online-Journalismus gestülpt wird. Konvergenz heisst heute aber genau das: die Vorteile des neuen Mediums werden verspielt. Bei «Blick Online» oder auch bei der NZZ sieht man, wie statisch Webportale aussehen, wenn sie vom Print her gedacht werden. So ist Konvergenz keine Weiterentwicklung, sondern ein Rückfall in die Online-Steinzeit.

Ich wage eine Schätzung, an der mich dann alle aufhängen können: «20 Minuten» wird noch vier Jahre gedruckt, «Blick am Abend» drei.

Über Strategien der Verlagshäuser

Ein erfolgreich geführtes Verlagshaus definiert sich heute vor allem über Kosteneffizienz.

Leider wird aber zurzeit in den Grossverlagen das erwirtschaftete Geld nicht in bessere Inhalte oder neue Medienmodelle gesteckt, sondern eher für eine Art Dot-com-Bingo ausgegeben.

Auch Verlagsmanager sind in der heutigen Umbruchzeit dazu verdammt, Kontrollverlust hinzunehmen, wenn wir Journalisten Innovation, Kreativität und Erneuerung anstreben sollen.

Die Firmenlenker sind mehrheitlich gelernte Drucker, Schriftsetzer oder kommen aus dem Inserate-Verkauf und haben sich finanzbuchhalterisch weitergebildet. Es dominiert die print-geprägte Controller-Mentalität.

Es scheint, als solle die Rendite in einer rasant umbrechenden Zeit die einzige Konstante sein.

Über das Geldverdienen im Netz 

Wir haben mit «20 Minuten»-Online mehr als bewiesen, dass man Journalismus heute noch bestens finanzieren kann. Tamedia machte letztes Jahr 170 Millionen Franken Gewinn, und «20 Minuten» hat am meisten dazu beigetragen.

Bei der NZZ als nationalem Medium mit zahlkräftiger Klientel könnte [eine Paywall] funktionieren. Bei Regionalzeitungen wie der «Aargauer Zeitung» auch. Regionale Informationen darf man nicht gratis verteilen, hier gibt es eine zahlungsbereite Kundschaft. Ansonsten bin ich skeptisch.

Wenn du eine Paywall hochziehst, hat die Marke ihre digitale Zukunft verloren.

Grundsätzlich finde ich, dass Ringier erkannt hat, dass man Alternativen zum wegbrechenden starren Inseratemodell entwickeln muss. Aber der PR-Ansatz von Ringier mit gleichzeitiger Imageberatung der Stars ist viel zu plump.

Über das Leistungschutzrecht

Dieser Ruf zeigt vor allem ein tiefes Unverständnis für die digitalen Entwicklungen. Ich bin auch der Meinung, dass dominante Marken wie Apple oder Google klaren Regeln unterstellt werden müssen. Aber nicht, um die Pfründe der Verleger zu schützen, sondern weil es gesellschaftlich sinnvoll ist.

Und damit ist nur ein kleiner Teil gesagt. Es lohnt sich, das ganze Interview auf der Website des «Sonntag» zu lesen.

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