Anlass zu einer Annäherung an Baseball geben zwei herausragende Sportdramen ohne Happy End: Chad Harbachs Debütroman «The Art of Fielding» und «Moneyball», eine Hollywood-Produktion mit Brad Pitt in der Hauptrolle.
Eines vorneweg: Um «Moneyball» und «The Art of Fielding» zu lieben, muss man Baseball nicht verstehen. Chad Harbach, dessen Debütroman «The Art of Fielding» von der «New York Times» zu einem der zehn besten Büchern des letzten Jahres gewählt wurde, benutzt den traditionsreichsten amerikanischen Sport als Schablone, um das Scheitern zu erzählen. Um eine Sprache zu finden für eigenes Unvermögen und die Grenzen der Ambition.
Im Mittelpunkt steht Henry Skrimshander, ein begnadetes Baseball-Talent. Wie im Traum agiert der College-Spieler auf dem Feld. Er fängt und wirft die Bälle mit anmutiger Effizienz und Eleganz, fehlerlos. Schon bald avanciert er zum Liebling der Scouts. Doch eines Tages rutscht dem Shortstop ein Ball aus der Hand und donnert seinem Mitspieler und Zimmergenossen ins Gesicht. Schwer verletzt bleibt Owen liegen.
Tauben statt Gewehrschüsse
Seitdem verliert die Hauptfigur die Kontrolle: Seine Würfe fühlen sich nicht länger wie «auf ein Ziel gerichtete Gewehrschüsse» an, sondern wie «aus einer Schachtel freigelassene Tauben». Ein Phänomen, das in der Welt des Baseballs seit den Siebzigerjahren immer wieder auftaucht und schon einige Stars zum Rücktritt gezwungen hat.
Es ist der unerklärliche Verlust des vermeintlichen Einklangs von Körper und Geist, der die monumentale Geschichte über 500 Seiten um Henry und seinen schmerztablettenabhängigen Teamkollegen und Mentor Mike Schwartz vorantreibt. Der Hochschul-Präsident Guert Affenlight, ein Experte für Melvilles «Moby Dick», verliebt sich in hohem Alter in den jungen, unwiderstehlichen Owen. Und Affenlights Tochter Pella lenkt sich mit zwanghaftem Tellerwaschen vom Misslingen ihrer ersten Ehe ab.
Der Roman, der auf Deutsch («Die Kunst des Feldspiels») Ende August bei Dumont erscheinen wird, ist mehr als ein intelligent geschriebenes Sportbuch. Abgeleitet vom Wesen des Baseball-Spiels, entwickelt der Autor ein literarisches Verfahren, um die heutige Befindlichkeit vielschichtig zu kommentieren.
Berechenbarkeit und Fehlbarkeit
Im Film «Moneyball», mit Brad Pitt als verschmitzt-entschlossenem General Manager der Oakland Athletics, geht es um die Ausklammerung alles Menschlichen: In die Enge getrieben durch ein im Vergleich zur Konkurrenz lächerliches Budget und entgegen der weisen Erfahrung seiner Scouts, vertraut Billy Beane (Brad Pitt) nur seinem neuen Assistenten für Statistik. Die beiden achten beim Zusammenstellen ihres Teams weder auf den Ruf der Spieler noch die Art, wie sie werfen, noch auf deren Alter oder Verletzungshistorie – sondern nur auf deren statistische Werte.
Der Hollywood-Film, der Ende Juni auf DVD erscheinen wird, wurde für sechs Oscars nominiert und basiert auf einer wahren Geschichte. Ein zentrales Thema des Films ist die oft sprachlose Kluft zwischen Berechenbarkeit und Fehlbarkeit, die Billy Beane ironischerweise nur zu gut kennt: Schon im College als kommender Superstar gefeiert, schaffte er es als Major-League-Spieler nie, sich zu etablieren. Er traf mit dem Schläger einfach den Ball nicht mehr – und scheitert ganz ähnlich wie die Hauptfigur in «The Art of Fielding».
Rätselhafter Sport
Jahrzehnte später, als General Manager, beginnt er sich in sein überaus rational zusammengestelltes und überdies erfolgloses Team einzumischen. Erst jetzt, als er sich mit den Geschichten seiner Spieler auseinandersetzt, stellt sich der Erfolg ein. Und die Oakland Athletics legen eine nie gesehene Siegesserie hin.
Wie «The Art of Fielding» ist «Moneyball» – das ist im Baseball so angelegt – langsam erzählt, verliert aber nie an Spannung. Das macht Chad Harbachs Roman und Regisseur Bennett Millers (u.a. «Capote») Drama zu gros-sen Sporterzählungen: Baseball wird nicht als blosses ästhetisches Phänomen gefasst, sondern der Sport wird in seiner ganzen Rätselhaftigkeit beschrieben.
Chad Harbach: «The Art of Fielding». Little Brown Book Group, New York, 512 S., Fr. 17.90.
«Die Kunst zu gewinnen – Moneyball», Regisseur: Bennett Miller, auf DVD erhältlich ab 21. Juni für ca. Fr. 21.90.
Der Trailer zu «Moneyball»:
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12