Das System «Avengers»

Mit dem neuen Captain America-Film überträgt Marvel Comics sein cleveres System vom Print auf den Filmmarkt: Ganze Serien fürs Kino zu produzieren macht mehr Sinn, als nur einen einzigen Film.

Der neue Captain America-Film zeigt, wie clever das System ist, das Marvel Comics vom Print auf den Filmmarkt überträgt: Ganze Serien fürs Kino zu produzieren macht mehr Sinn, als nur einen einzigen Film.

Es ging ihnen schon besser, den Filmleuten ennet dem Atlantik in Hollywood: Die Industrie serbelt. Ständig auf der Suche nach neuen Ideen, nach neuen Geschichten, nach dem nächsten Blockbuster. Doch statt Neues zu finden, setzt die Branche auf Bekanntes. Wiederverwertung nennt man das. Man verfilmt erfolgreiche Romane, dreht Remakes von europäischen Kassenschlagern, von eigenen alten Filmen.

Oder man blättert in Comic-Heften, sucht sich die liebsten Helden der Leserschaft für eine Verfilmung aus und bringt diese auf die Leinwand: In Serien, die sich gegenseitig immer wieder tangieren und so stetig neues Publikum generieren.

Als besonders erfolgreich entpuppt sich dieses Rezept für Marvel Entertainment, wie sich zeigt. Denn die sechs grössten Marken im US-Filmmarkt sind: Harry Potter, James Bond, Batman, die Krieger aus «Star Wars», «Der Herr der Ringe» (beziehungsweise Tolkiens Universum, zu dem auch die «Hobbit»-Trilogie gehört) und die Marvel-Superheldentruppe namens The Avengers. Lesen wir in der Franchise-Rangliste bis Platz 15 weiter, so finden wir mit den X-Men, Spider-Man und Iron Man weitere Marvel-Comic-Figuren.

Iron Man ist nichts anderes als einer der Avengers – der beliebteste offenbar, da er es mit seinen eigenen Filmen noch unter die ersten 14 geschafft hat. Es gibt aber auch schon drei davon. Der zweitplatzierte Avengers-Held heisst Thor und landet nach zwei Filmen gerade mal auf Platz 59, Captain America als Nummer drei schafft es noch knapp unter die Top 100. Möglicherweise wird seine Marke nun, mit dem Release des zweiten Captain-America-Filmes gestärkt: «The Return of the First Avenger» (im Original «Captain America: The Winter Soldier») läuft seit Donnerstag im Kino.

Die Filmstudios machen mit dem Recyceln von Comic-Figuren nichts anderes, als das, was auch die Comic-Printverlage seit Jahrzehnten tun: alte Helden wieder aus der Schublade kramen und in neuem Gewand und zeitgenössischem Kontext einem neuen Publikum unterbreiten.

Einer der Helden, der von diesem Mechanismus ein Lied singen kann, ist Captain America.

Ausgemusterter US-Patriot

Captain America wurde 1941, während des Zweiten Weltkrieges, vom Verlag Timely Comics (ein Vorgänger der heutigen Marvel Comics) lanciert: Der Erste der Rächer, wie die Avengers im Deutschen heissen, war ein durch ein Serum zum Superhelden gepumpter Soldat namens Steve Rogers, der in ein Stars-and-Stripes-Kostüm gehüllt vor allem gegen die Nazis kämpfte. Ein US-Patriot durch und durch. Doch irgendwann nach Ende des Krieges verlor er seine Wirkung beim Publikum und tauchte darum 1950 vorerst das letzte Mal in einem Comic auf.

1964 wurde Captain America ein erstes Mal reaktiviert – oder besser: Er wurde aufgetaut. Denn in der Zwischenzeit sei er in der Arktis in Eis eingeschlossen gewesen, lautete die Begründung des Verlags für die Wiedergeburt des totgeglaubten Helden. Sein Helden-Serum hatte ihn dabei am Leben erhalten, ihn in einen Kälteschlaf versetzt. In den darauffolgenden Jahrzehnten legte Captain America immer wieder seinen Namen ab und nannte sich anders – im Versuch, vom patriotisch gefärbten Auftrag Abstand zu nehmen und eine Identität ausserhalb der US-Flagge zu kreieren. Der Versuch scheiterte – mehrmals. Denn es waren doch immer wieder amerikanische Krisen, die dem Helden neue Kraft einflössten – ob Kommunismus, Vietnamkrieg oder zuletzt der 11. September 2001. Ebbte eine Krise ab, wurde Captain America schwächer.

Das Unternehmen Marvel hat einen Plan, der sich über mehrere Jahre erstreckt – und über mehrere Filme.

Trotzdem: Captain America war der erste Avenger – und so war es nur eine Frage der Zeit, bis der Held die Kinoleinwand erobern sollte. Denn das Unternehmen Marvel, das seit 1993 auch ein Filmstudio sein Eigen nennt, hatte einen Plan – einen Plan, der sich über mehrere Jahre erstreckt und mit dessen Umsetzung es 2008 begann.

Damals brachten die Marvel-Studios gleich zwei Filme ins Kino, die den Auftakt für eine ganze Reihe anderer Filme markieren sollten: «Iron Man» und «The Incredible Hulk». Beide Figuren  sind Teil der Avengers. Doch während das Kinopublikum dem Hulk, einem grossen grünen und etwas tumben Monster aus einer Story à la Dr. Jekyll and Mr. Hyde, nur wenig abgewinnen konnte, liebte es den Iron Man.

Iron Man heisst eigentlich Tony Stark, ist Milliardär und ein Playboy. In seiner Brust trägt er einen starken Elektromagneten, der ein Schrapnell-Teil davon abhalten soll, in seinen Herzmuskel einzudringen. Derselbe Magnet, eine Art Reaktor, betreibt auch eine Hightech-Rüstung, die Stark zum Iron Man macht.

Der Schauspieler Robert Downey Jr. verkörpert diese Figur mit viel Sarkasmus und Witz, was einen grossen Teil des Erfolges der  «Iron Man»-Filme (inzwischen sind es drei) ausmacht und unter anderem erklärt, warum ausgerechnet diese Figur aus dem Marvel-Universum es derart hoch hinauf in der Franchise-Rangliste schaffte.

Im Team ist man stärker

Seine zwei weiteren Einsätze im Kino hatte Iron Man in den Jahren 2010 und 2013. Dazwischen, im Jahr 2012, verhinderte er noch mit Kollegen eine Invasion von Aliens: Der Film «Marvel’s The Avengers» führte gleich mehrere Helden des Marvel-Universums zusammen: Neben Iron Man kämpften der Hulk, Captain America, Thor und Black Widow. Wie Iron Man und der Hulk hatten beim Start des Filmes auch Thor und Captain America bereits eigene Filmauftritte hinter sich.

Das Team-up der Avengers war ein kluger Schachzug der Marvel-Studios. Nicht nur machen beliebte Helden wie Iron Man oder Thor darin die Mankos eines Hulk wett, sondern sie machen die Kinogänger im besten Falle auch neugierig auf einen Helden, dem sie bislang keine Aufmerksamkeit schenkten. Sprich: Wer wegen Iron Man die «Avengers» guckt, schaut sich danach vielleicht auch «Thor» oder «The Incredible Hulk» an – aus reiner Neugier. Zudem dient ein solcher Film auch dazu, neue Figuren auszuprobieren: Black Widow beispielsweise (gespielt von Scarlett Johansson) soll nach ihrem erfolgreichen «Avengers»-Auftritt bald einen eigenen Spin-off erhalten.

Entlehnt haben die Marvel Studios das System dieser Team-ups dem hauseigenen Comic-Verlag. In sogenannten Crossovers bringt Marvel in seinen Heften immer wieder Helden und Feinde zusammen, um die Leser tiefer in ihr Comic-Universum hineinzuziehen. Im Grunde handelt es sich dabei um nichts anderes als um geschickte Werbung.

Je nachdem wird diese System weniger stark oder stärker ausgereizt – bis hin zum Extremen. 2006 beispielsweise veröffentlichte Marvel eine Comic-Serie namens «Civil War». Jedes der sieben Hefte führte zu Fortsetzungen in acht neuen Serien, von denen wiederum jede eine Fortsetzung nach sich zog. Wer sich in diesem Universum noch auskennen will, muss entweder von Anfang an mitgelesen haben oder aber die Geduld (und das Geld) aufbringen, sich rückwärts durchzuarbeiten.

Zumindest ist das die Hoffnung der Verlage.

Comic-Verfilmungen können durch Zeitsprünge verwirren. Darum wird vom Kinogänger erwartet, dass er alle anderen Filme gesehen hat. Oder es zumindest nachholt.

Dass ein Filmstudio, das zu einem Comic-Verlag gehört, dies folglich ausprobiert, kommt also nicht von ungefähr – schliesslich funktioniert es bei den Verlagen seit Jahren. Die Marvel-Studios haben das System bei den Avengers auch nicht zum ersten Mal erprobt. Das erste Team-up, das sie in Kooperation mit 20th Century Fox auf die Leinwände brachten, war jenes um die Mutantengruppe der X-Men.

Hier allerdings gingen sie den umgekehrten Weg: Drei X-Men-Filme wurden in den Jahren 2000, 2003 und 2006 in die Kinos gebracht. 2009 dann folgte daraus der Film «X-Men Origins: Wolverine», der zeitlich vor den drei X-Men-Filmen spielte und den Ursprung einer der wichtigsten Figuren aufzeigte. Ein zweiter Wolverine-Film schloss dann an den dritten Teil der X-Men-Trilogie an.

Kein Ende in Sicht

Um Verwirrung durch solche Zeitsprünge auszuschliessen, wird vom Kinogänger erwartet, dass er alle anderen Filme gesehen hat. Oder es zumindest nachholt.

Mit «X-Men: Days of Future Past» kommt Ende Mai ein weiterer Film dieser Reihe in unsere Kinos. Der Titel lässt ahnen, dass man auch diesen besser mit Vorkenntnissen anschaut: Denn die Plots der X-Men-Filme und die jüngsten Prequels werden darin verschmelzen.

Auch bei den «Avengers» ist kein Ende in Sicht: 2015 folgt mit «Avengers: Age of Ultron» das nächste Team-up. Auch Thor wird einen weiteren abendfüllenden Film produzieren. Gut möglich auch, dass sich aus dem zweiten «Avengers»-Film, der neue Figuren vorstellt, ein weiterer Spin-off anbietet. Möglichkeiten gibt es viele: Im Marvel-Heldenuniversum tummeln sich rund 200 Charaktere.

Nächster Artikel