In Ägypten sind im Machtkampf zwischen dem Militär und Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi innert weniger Stunden weitere 60 Menschen ums Leben gekommen. Dutzende Islamisten starben am Sonntag in Polizeigewahrsam. Bewaffnete Extremisten erschossen 25 Polizisten.
Die gewaltsame Räumung von zwei Protestlagern in Kairo durch die Sicherheitskräfte am vergangenen Mittwoch hatte mit Demonstrationen und tagelangen Unruhen in mehreren Städten neue Gewalt ausgelöst. Laut offiziellen Angaben kamen seitdem mindestens 850 Menschen ums Leben, darunter 70 Polizisten und Soldaten.
Für neuen Zündstoff könnte die mögliche Freilassung des früheren Präsidenten Hosni Mubarak sorgen. Diese könnte in Kürze erfolgen, sagte sein Anwalt Farid al-Dib.
Mubaraks Anwalt erklärte am Montag: «Alles, was noch bleibt, ist ein einfaches Verwaltungsverfahren, das nicht mehr als 48 Stunden in Anspruch nehmen sollte. Mubarak sollte bis Ende der Woche freigelassen werden.» Laut Justizkreisen wird Mubarak noch zwei Wochen in Haft bleiben bevor eine Entscheidung gefällt wird.
Der 85-Jährige wurde 2012 wegen der Tötung von Demonstranten während des Aufstandes gegen ihn zu lebenslanger Haft verurteilt. Dieser Prozess wird derzeit neu aufgerollt.
Amnesty: Exzessive Gewalt
Seit dem Sturz von Mubaraks Nachfolger Mursi Anfang Juli sieht sich das Militär, das seit vergangener Woche massiv gegen die Mursi nahestehenden Muslimbrüder vorgeht, mit neuen schweren Vorwürfen konfrontiert.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilte die «exzessive Gewalt» der Sicherheitskräfte und verlangte eine «umfassende, unabhängige» Untersuchung.
«Alle, die für den Einsatz oder die Anordnung der ungerechtfertigten tödlichen Gewalt verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden», forderte Amnesty am Montag in Berlin. Menschenrechtsverstösse auf Seiten der Muslimbrüder dürften nicht als Vorwand genutzt werden, gegen alle Mitglieder der islamistischen Bewegung vorzugehen, wenn diese friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäusserung nutzten.
Widersprüchliche Angaben
Mindestens 36 Islamisten kamen am Sonntag in Gewahrsam der Behörden um. Aus dem Umfeld der Justiz war zu vernehmen, die Gefangenen seien in einem überfüllten Polizeitransporter erstickt. Die Muslimbrüder sprachen von Mord. Das Innenministerium erklärte dagegen, die Inhaftierten seien gestorben, nachdem sie während eines vereitelten Gefängnisausbruchs Tränengas eingeatmet hätten.
Auch international geraten das Militär und die von ihm eingesetzte Übergangsregierung wegen des harten Vorgehens gegen die Muslimbrüder zunehmend in die Kritik. Die Aussenminister der EU wollten am Mittwoch in Brüssel darüber beraten, wie beide Seiten zu einer politischen Lösung gedrängt werden könnten.
Ein hochrangiger EU-Vertreter räumte jedoch ein, dass die Staatengemeinschaft keine grossen Druckmittel habe. Im Gespräch war etwa eine Überprüfung der bereits fest zugesagten finanziellen Unterstützung von fünf Milliarden Euro für das wirtschaftlich schwer angeschlagene Land.
Sorge über Lage auf Sinai
Unterdessen bereitet die Lage auf dem Sinai Anlass zu Sorge. Seit der Revolution gegen den langjährigen Machthaber Mubarak Anfang 2011 glitt die Halbinsel immer stärker in die Gesetzlosigkeit ab. Mehrere bewaffnete Gruppen haben sich dort breitgemacht. Seit Mursis Sturz werden fast täglich Anschläge mit Toten und Verletzten gemeldet.
Vor allem in Israel, das 1979 einen Friedensvertrag mit Ägypten unterzeichnete, wird die Entwicklung intensiv verfolgt. Es bestehen Befürchtungen, dass der Sinai zum Rückzugsgebiet für radikal-islamische Terroristen werden könnte.
Die Muslimbrüder haben erklärt, mit keiner der Gruppen auf dem Sinai in Verbindung zu stehen. Die ägyptische salafistische Al-Nur-Partei verurteilte die Tötung der Polizisten.