«Der Geschmack von Apfelkernen»

Sei sind selten geworden, die Bücher, die gleich mehrere Generationen in einem Werk unter ein Dach bringen. «Der Geschmack von Apfelkernen» ist so ein Buch. Jetzt ist daraus auch ein Film geworden. In impressionistischer Verspieltheit bringt Viviane Naefe darin den gleichnamigen Roman von Katharina Hagena auf die Leinwand. Vivian Naefe «Der Geschmack von Apfelkernen» Ein […]

Sei sind selten geworden, die Bücher, die gleich mehrere Generationen in einem Werk unter ein Dach bringen. «Der Geschmack von Apfelkernen» ist so ein Buch. Jetzt ist daraus auch ein Film geworden. In impressionistischer Verspieltheit bringt Viviane Naefe darin den gleichnamigen Roman von Katharina Hagena auf die Leinwand.

Vivian Naefe «Der Geschmack von Apfelkernen»

Ein Haus hat viel zu erzählen. Seit Generationen hat es die Familie von Grossmutter bewohnt. Jetzt erbt es Iris (Hannah Herzsprung), die Enkelin. Doch sie tritt nicht nur das Erbe des Hauses an. Sie nimmt auch all die Last der Erinnerungen auf sich, die in dem Haus wohnen. Ihre Kindheit, ihre Jugend, und die ganzen Verstrickungen der Personen und Paare, die das Haus belebten.

Jedes Zimmer birgt seine Überraschung. Kindheitserinnerungen, schöne, schmerzhafte, schreckensvolle Erlebnisse. Doch nicht nur dies. Iris stösst, während sie in dem Haus wie in einem Bilderbuch blättert, auch auf Geheimnise von damals.

Eine Hannah Herzsprung in der jede Menge Iris steckt 

Iris zögert. Sie will das Erbe nicht antreten. Doch er Notar, der die Geschäfte regelt, ist ausgerechnet jener Max von damals (Florian Stetter), den die drei Mädchen der Familie in ihrer Jugend gerne blossstellten. Er ist der letzte Anstoss, sich auf die Suche nach der Vergangenheit zu machen. Diese heutige Verliebtheit stösst sie in die Liebeswirren von damals. Je mehr sich Iris der Geschichten erinnert, desto deutlicher wird ihr, wie viele Menschen Grund haben, sie vergessen zu wollen.

Die Regisseurin Viviane Naefe reiht die Geschichten, wie in der Vorlage, als eine Reihe von impresionistischen Bildern auf eine Perlenschnur. Das Haus ist die Bühne und Hauptperson des Filmes. Der zweifach blühende Apfelbaum davor ist das wechselnde Bühnenbild und das magische Zentrum der Geschichte: Mal steht er als Baum der Erkenntnis, der die Äpfel nicht weit von seinem Stamm fallen lässt, da, mal lässt er als Fruchtbarkeitsbaum seine Früchte auch über Nacht reif, mal leiht er seinen Ast als Wegstrecke hinüber in den Tod.

Vivian Naefe ist eine Schauspielerregisseurin

Naefe legt das reichlich überfrachtete Geschichtchenarsenal des Romans erst langsam frei. Aus dem Bilderbuch der Impresionen schält sie zusehends deutlicher aus der Kindsfrau Iris die reife Leibende heraus. Erst im zweiten Teil des Films entscheidet sich dann für den Kern einer Leibesgeschichte, in den die anderen Liebesgeschichten münden: Die Herzsprung lässt ihre Iris diese Suche nach ihren Erinnerungen grossartig naiv, verstockt, sexy, misstrauisch, tapsig, verstört und locker angehen.

Nicht immer hält «Der Geschmack von Apfelkernen» die Waage zwischen romantischer Komödie und Offenbarungsdrama. So wird zwar das Trauma der Iris sorgfältig herbeigeführt, während sie der eigenen Vergangenheit merkwürdig fern bleibt. Das mag daran liegen, dass die literarische Erzählerin, der filmischen Erzählerin gleich gesetzt bleibt: Was im Buch als Erzählung geheimnisvoll wirken mag, kann im Film als ungebührend distanziert wirken.

Ein Haus fordert Geduld – dieser Film auch

Die Stärke der Regisseurin Naefe zeigt sich, sobald sie sich in ihre Figuren verlieren darf:  Nicht nur in den ausführlichen Portraits der Figuren zeigt sie viel Genauigkeit. Auch wenn sie Charaktere nur skizzieren darf, setzt sie sie mit Sympathie –  auch für die Bösen – ins Bild. Ganz einnehmend aber ist der Film, weil er auf sich ganz auf die Episoden der Geschichte zurücknimmt: Wenn auch die Fülle der Geschichten, die der Vorlage von Katharina Hagena geschuldet ist, kaum zu bewältigen ist. Durch die Genauigkeit der Figuren im Zentrum bleibt der Film im leise und sanft dahin fliessenden Fluss.

Sei sind selten geworden, die Bücher, die gleich mehrere Generationen in einem Werk unter ein Dach bringen. «Der Geschmack von Apfelkernen» ist so ein Buch. Die impressionistische Verspieltheit von Viviane Naefe hält die Balance mit dem gleichnamigen Roman von Katharina Hagena.

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