Der Goldene Löwe: eine Begegnung mit Roy Andersson

Für viele überraschend. Für die, die ihn kennen, beglückend: Der Poet der Verzweiflung hat in Venedig den Goldenen Löwen erhalten. Ein Porträt. Ein Lächeln der Erleichterung huscht über Roy Andersson Gesicht, als ich mir zu Beginn unseres Gespräches wünsche, mit ihm schwedisch zu reden. Seine Frage, warum ich schwedisch sprechen wolle, beantworte ich mit einer […]

«Ich bin mir treu geblieben.» So begründet Roy Andersson selbst, warum er den Goldenen Löwen erhalten hat.

Für viele überraschend. Für die, die ihn kennen, beglückend: Der Poet der Verzweiflung hat in Venedig den Goldenen Löwen erhalten. Ein Porträt.

Ein Lächeln der Erleichterung huscht über Roy Andersson Gesicht, als ich mir zu Beginn unseres Gespräches wünsche, mit ihm schwedisch zu reden. Seine Frage, warum ich schwedisch sprechen wolle, beantworte ich mit einer Gegenfrage: Ob nicht ich derjenige sei, der Fragen stellen sollte? Er lacht.  

Jetzt sind wir schon mitten in der Aktualität der 71. Filmfestspiele in Venedig: Den Goldenen Löwen, sagt er, könne er für «A Pigeon sat on a Branch Reflecting on Existence» nur erhalten, weil er so speziell sei. Er werde ihn allerdings nicht erhalten. Aus dem gleichen Grund: Weil «A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence» so speziell sei.

«Was mich keineswegs enttäuscht. Es ist schon phantastisch hier zu sein». Damit meint er auch seine Begleitung, zwei Schauspieler sind mitgereist und fallen hier im Glamour Venedigs durch ihren unkomplizierten Stil auf: Beim Foto-Shooting sehen sie aus wie die Klempner von nebenan.

Roy Andersson (ganz rechts) auch hier sich selber treu: Zum Fototermin als Mensch von nebenan

Roy Andersson (ganz rechts) auch hier sich selber treu: Zum Fototermin als Mensch von nebenan (Bild: Betschart)

Woher nimmt er bloss all die Fröhlichkeit, die er seinen Figuren nur selten erlaubt, uns aber gerne möglich macht? «Ich habe ohnehin meinen Platz für Souvenirs im Kopf – nicht im Handgepäck». Der Meister der Verzweiflungsbilder ist plötzlich ganz persönlich: «Mein Vater ist ein phantastischer Unterhalter gewesen, bei allen Familienzusammenkünften. Von ihm habe ich einen ganz eigenen Humor gelernt. Er hatte immer einen sehr speziellen Blickwinkel, der mich das Scheitern von Menschen lieben lehrte.»

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und  denkt über das Dasein nach

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Dasein nach

Die grosse Verzweiflung

Anderssons Figuren bringen uns zum Lachen, weil wir in ihnen eine grosse Verzweiflung wiedererkennen. «Ich lasse Zuschauer meinen Figuren in ihre Verzweiflung folgen. Aber ich nehme sie mit Humor bei der Hand. So nehmen zumindest die Zuschauer keinen Schaden». Er lacht wieder.

Er lacht überhaupt öfter, als man dem Erfinder dieser ganz ernsthaften Traumbilder zutrauen möchte. «Ich mochte dieses Scheitern schon als Kind: Bei Laurel und Hardy. Vor allem bei Hardy, weil er immer dabei scheiterte, etwas Besseres sein zu wollen.»  Dass Edward Hopper ihn inspirierte erwähnt er gar nicht. Dass Otto Dix einer seiner Geistesbrüder ist, wird er nicht müde zu betonen.

Goya sei auch einer seiner Verwandten. Er habe eine grausame Serie gemalt (die «Katastrophen des Krieges») zur selben Zeit, da er die süsslichen «Los Caprichos» schuf. «Ich glaube, ich möchte meinen nächsten Film so machen, wie er seine Bilder.» Er wiederhole sich nämlich nicht, wie viel glauben. Er entwickle nur seine Bilder weiter. Dennoch kennt er andere Brüder im Geiste nicht: W.C. Fields? Christoph Marthaler? «Nein.»

Wer sein Bier mit einem Kuss bezahlen darf gibt gern Trinkgeld

Wer sein Bier mit einem Kuss bezahlen darf gibt gern Trinkgeld

«Ich lebe ein zurückgezogenes Leben», sagt er. Wo lebt er dann? In seinen Träumen? «Ich träume oft, ja. Aber nur selten erinnere ich mich daran. Dann aber sehr deutlich.» Lässt er seine Träume in seine Filme einfliessen? «Sie machen mich frei. Sie durchbrechen alle Regeln der Logik. Sie vermitteln mir eine Freiheit wie es sonst nur Maler können».

Heisst das, die Auslöser für seine Arbeit sind Bilder? Oder ein Satz, oder eine Figur? Der nachdenkliche Schwede sucht immer wieder lange nach Worten, als gälte es, eines seiner Bilder zu erfinden. Bilder, sagt er, seien ohnehin lange vor den Worten in der Kultur des Menschen aufgetaucht. Das Bild sei die eigentliche Form der Sprache.

Andersssons Traumbilder

«Das Bild. Der Raum. Damit beginnt bei mir alles. Selten ist es ein Satz, der Ausgangspunkt für eine Szene. Sätze sind bei mir eher die Bindeglieder zwischen den Bildern. Manchmal kann ein einfacher Satz aus dem Alltag das Denken über die Existenz in Gang bringen.»

«Va roligt att höra, att ni har det bra», ist so ein Satz, den man in Schweden immer wieder hören kann: Er verbindet wie ein Leitsatz, das 39-Bilder Album «A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence» im Innern. Der Satz könnte auch der Titel des gesamten Fresko sein: «Wie schön zu hören, dass es Euch gut geht».

Der Scherzartikel-Absatz gerät ins Stocken

Der Scherzartikel-Absatz gerät ins Stocken

«Die Menschen sind meist glücklicher, wenn sie hören, dass andere glücklich sind, als wenn sie es selber sind», sagt Andersson lachend. Und strahlt für einen kurzen Augenblick jene Verzweiflung aus, die auch seine Bilder ausstrahlen.

«Aber es gibt auch Lieder, die mich inspirieren: So lauscht in der Taube ein Mann einer Schallplatte, wo einer davon singt, dass er schon als Kind in ein Mädchen verliebt war. Im Lied verspricht der Mann dem Mädchen, er wolle mit ihm glücklich werden, bis ans Ende der Tage, wo sie zusammen im Himmel ihre Zeit verbringen werden und zusammen – mit Mama und Pappa! Auf ewig! Das hat mich beim Zuhören so erschreckt, dass ich das Bild dazu entwickelt habe.»

Erbarmungsloser Anachronist

Dabei ist er nicht nur ein Bilder-Erfinder. Er ist auch ein erbarmungsloser Anachronist und Chronist in einem. In einem einzigen Bild fasst er in «A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence» gleich mehrere geschichtliche Ungeheuerlichkeiten zusammen: Inspiriert vom sizilianischen Bullen, einem Folterinstrument der Inquisition aus dem 6. Jahrhundert, baut er eine riesige metallene Trommel mit Schalltrichtern.

Die Kolonialisten zu Füssen der liegenden Trommel treiben nun Afrikaner in die Trommel hinein und schliessen die Metallklappe. Unter den Eingesperrten entfachen die Kolonialisten nun (wie im 6. Jahrhundert unter dem metallenen Bullen) ein Feuer, bis die Trommel sich dreht, wie eine riesige Edison-Walze, weil die Menschen im Innern der Hitze der Brennkammer wohl rennen, wie verzweifelte Hamster im Rad, um der Hitze zu entkommen, während aus den Metalltrichtern die Wehgesänge der derart Gefolterten erklingen. Eine irrwitzig schöne Musik, die von Arvo Pärt stammen könnte.

Wie in der Renaissance-Malerei ist jeder Betrachter seiner Bilder herausgefordert, sein eigener Filmemacher zu sein. Je nachdem, was dem Zuschauer von einem Bild zuerst ins Auge sticht, erhält das Bild für jede Zuschauerin eine individuelle Geschichte. «Ich will dass meine Bilder mit dem Zuschauerraum kommunizieren.»

Von wem hat er das gelernt. Bergman? «Er war der Chef-Inspektor der Schule in Stockholm. Alle hatten grosse Angst vor ihm. Einmal pro Semester hatte man in seinem Büro zur Zurechtweisung zu erscheinen. Ich hatte sonst nichts mit ihm zu tun. Er warnte mich bloss davor, die Jugendrevolte zu filmen. Wenn du deine Kamera brauchst um Demonstrationen zu filmen, machst du nie einen Spielfilm!»

Der König rekrutiert einen Soldaten der bei ihm im Zelt schlafen darf

Der König rekrutiert einen Soldaten der bei ihm im Zelt schlafen darf

Kompromisse machen unglücklich

Was würde er selber einem jungen Regisseur heute auf den Weg geben? «Keine Kompromisse! Das macht dich nur unglücklich. Du solltest nie Ruhe geben, ehe du genau das kriegst, was du willst. Ich habe selber oft genug Knochenarbeit gemacht und Geld-Jobs, Werbung etc., um eine Einstellung zu finanzieren, die ich nicht zahlen konnte». Mit dieser Lösung hat er eben den dritten Teil seiner Trilogie fertig gestellt. «Ich hatte nie eine Trilogie geplant. Aber es ist dennoch eine geworden.»

Wie geht es weiter? Wird er seinen gräulich, bläulich, grünlichen Räume, die schon Kult sind, treu bleiben?  «Mein nächster Film wird der vierte Teil sein – der Trilogie!». Er sagt das verschmitzt. Denn eigentlich ist Andersson ein unendlich verspielter Humorist. So viel gelacht habe ich selten mit einem Menschen, der so viel Ernsthaftigkeit in seiner Kunst ausstrahlt.

Zum Schluss verrate ich ihm, warum ich die schwedische Sprache mag: Weil sich in ihr die Verzweiflung gern mit Humor paart, wie in seinen Filmen. «Verzweiflung? Stimmt …stimmt …. Das ist es!» Er lacht. Dann verharrt er einen Augenblick und schaut, wie eine Taube, die auf einem Ast sitzt und über die Existenz nachdenkt, zum Fenster hinaus.

Der Meisters der Verzweiflung: Roy Andersson

Der Meisters der Verzweiflung: Roy Andersson (Bild: Betschart)

   

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