Der grosse Streit um ein kleines Stück Tuch

Fahnen mit Firmenlogos dürfen in Basel nicht aufgehängt werden. Ein Grundsatz, der für beträchtlich Aufregung sorgt, weil die Reederei MSC unbedingt Flagge zeigen will. Ein Zeichen von Sturheit? Nicht unbedingt. Denn Seeleute kommunizieren so selbstverständlich mit Flaggen wie Stadtbild-Kommissionen umfangreichen Gutachten erstellen und strikte Verbote erlassen. Bleibt die Frage der Ästhetik – aber urteilen Sie selbst, liebe Leserinnen und Leser.

Oder etwa nicht? (Bild: Hans-Jörg Walter)

Fahnen mit Firmenlogos dürfen in Basel nicht aufgehängt werden. Ein Grundsatz, der für beträchtlich Aufregung sorgt, weil die Reederei MSC unbedingt Flagge zeigen will. Ein Zeichen von Sturheit? Nicht unbedingt. Denn Seeleute kommunizieren so selbstverständlich mit Flaggen wie Stadtbild-Kommissionen umfangreichen Gutachten erstellen und strikte Verbote erlassen. Bleibt die Frage der Ästhetik – aber urteilen Sie selbst, liebe Leserinnen und Leser.

Eigentlich geht es nur um ein Stück Tuch. Eine Fahne, rund zwei Quadratmeter gross.

Es ist aber eine besondere Fahne, zumindest für die Mediterrean Shipping Agency (MSC). Es ist ihre Flagge.

Die mächtige Reederei präsentiert diese in der ganzen Welt, in allen Niederlassungen – ausser in Basel und dem Sitz bei der Heuwaage. Dort verbietet die Stadtbildkommission das Anbringen einer Flagge – nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern auch wegen grundlegender Bedenken. Es könnte ja sein, dass nach dem Vorbild der MSC bald auch noch ein, zwei weitere Unternehmen Flagge zeigen möchten – und schon würde das altehrwürdige Basel einen recht flatterhaften Eindruck erwecken!

René Mägli, Chef der MSC-Basel, will sich mit einem dezenten Wimpelchen auf seinem Schreibtisch oder einem Fähnchen in seinem Büro aber nicht zufrieden geben. Er will die Flagge. Und zwar eine auf dem Geschäftssitz, die von weither sichtbar ist. Darum hat er den Wegzug seiner Zweigniederlassung ins Baselbiet per Inserat angekündigt, wo er auf etwas grosszügigere Behörden hofft, wie das Regionaljournal berichtet hat. Ins Baselbiet. Ausgerechnet!  Das muss jeden aufrechten Basler schmerzen.

Ein paar dürfen trotzdem Flagge zeigen

Kein Wunder, zieht der Fahnenstreit seine Kreise. Von Tag zu Tag mehrt sich die Kritik an der Stadtbildkommission und den Stadtbehörden – obwohl das Baudepartement schon bald versuchte, die Wogen zu glätten, indem es sein Bedauern über die unnachgiebige Haltung der Reederei und ihren drohenden Wegzug äusserte. Der Versuch war ein Schlag ins Wasser, wie sich Mitte Woche zeigte, als auch noch die Politik aktiv wurde – in Person des umtriebigen Liberalen André Auderset, der als Geschäftsführer Vereinigung für Schifffahrt und Hafenwirtschaft arbeitet, wenn er nicht gerade im Grossen Rat sitzt, Värsli brünzelt oder einen Eishockey-Match kommentiert. Mit einer Interpellation im Kantonsparlament fordert er die Regierung auf, im Fahnenstreit zu vermitteln und so quasi im letzten Moment doch noch verhindert, dass Basel-Stadt ein «renommiertes Unternehmen» und mit ihm mehr als hundert Arbeitsplätze verliert. 

Unabhängig davon hat die Basler Zeitung in dieser Woche zudem einen Reporter auf die Tücher der Stadt angesetzt. Seine überraschende Erkenntnis (online nicht verfügbar): Selbst in Basel gibt es schon jetzt ein paar Unternehmen, die Flagge zeigen dürfen – obwohl das die Stadtbildkommission grundsätzlich nicht will. Ein Grund sind alte Bewilligungen, die noch auf der Grundlage eine früheren, etwas liberaleren Bau- und Planungsgesetz ausgestellt worden sind. Wo in Basel nun was genau gilt, konnte dem wackeren  BaZ-Reporter allerdings auch niemand sagen, obwohl er sich die Mühe nahm, verschiedene Amtsstellen zu kontaktieren, was ja auch nicht unbedingt ein Vergnügen ist.

Wer ist denn hier stur?

Vielleicht wäre es aber ohnehin besser, sich in diesem ganzen Fahnenstreit endlich den beiden wesentlichen Fragen zuzuwenden.

Erstens: Müsste sich neben der Stadtbildkommission nicht auch die Reederei den Vorwurf gefallen lassen, ein wenig stur zu sein, wenn sie gleich den ganzen Laden dicht macht und wegzieht, nur wegen eines Stücks Stoffs?  

Das Baudepartement meint: eindeutig ja. Man könnte aber auch ebenso gut sagen: eindeutig nein. Denn Flaggen sind wichtig, heilig schon fast. Das war schon bei den alten Römern so, die mit auf ihren Eroberungszügen immer vorneweg ihre Fahnen trugen, um zu zeigen: Hier sind wir, hier regieren wird. Und auch später, im Mittelalter, boten die Fahnen selbst auf den chaotischsten Schlachtfeldern noch immer hilfreiche Hinweise, in welche Leiber man seine Hellebarde stossen sollte und in welche besser nicht, wenn man dem Gegner nicht plötzlich alleine gegenüberstehen wollte.

Mann über Bord

Eine Zeichensprache, welche die Seeleute im Laufe der Jahrhunderte sogar noch wesentlich verfeinerten. Mit dem richtigen Stück Stoff am richtigen Ort (das Ganze ist eine Wissenschaft) zeigen sie ihre Herkunft, sie senden Grussbotschaften ans Gastland, machen weitherum allen klar, was der Kapitän vorhat (nach steuerbord oder backbord zu fahren zum Beispiel, eine unter Umständen sehr wichtige Information), was er braucht (einen Lotsen zum Beispiel) oder welche Probleme die Mannschaft hat (Mann über Boot, Quarantäne etc.).

Für all das steht ein ganzes Flaggenalphabet zur Verfügung; wobei auf einem Schiff gleichzeitig bis zu vier verschiedene Buchstaben gesetzt werden können, was insgesamt 475254 verschiedene Kombinationen und Aussagen zulässt, wie ein schlauer Kopf nachgerechnet und bei Wikipedia notiert hat. Das ist aber noch nicht alles. Dank Spezialwimpeln und so genannten Standern sind noch sehr viel mehr Kombinationen möglich.

Seemansgarn zu spinnen reicht nicht

In den Hafenkneipen Seemannsgarn zu spinnen, reicht den Matrosen ganz offenbar nicht; um wirklich ernsthaft zu kommunizieren sind sie auf Flaggen angewiesen. Kein Wunder also, reagiert ein Reedereichef pikiert, wenn man ihn daran hindert, seine Gaststadt so zu grüssen, wie er sich das aus seinem Business gewohnt ist. Mit einer Flagge.

Bleibt die zweite, weitaus schwierigere Frage: Sind Fahnen schön oder würden sie das Stadtbild tatsächlich beeinträchtigen? Eine Geschmackssache. Wir meinen: In Basel waren in den vergangenen Tagen ungewohnt viele Fahnen zu sehen, dank der FCB-Meisterfeier, dank des 1. Mai-Marsches, und das bisschen Farbe hat der Stadt gut getan. Oder etwa nicht? 

 

Die Basler Stadtbildkommission stützt sich bei ihren Entscheiden auf das kantonale Bau- und Planungsgesetz. Darin ist unter anderem festgehalten, dass Bauten, Anlagen, Reklamen, Aufschriften und Bemalungen so zu gestalten sind, «dass eine gute Gesamtwirkung entsteht» (Paragraf 58). Eine Anforderung, die nach Überzeugung der Kommission bei Fahnen mit Firmenlogos nicht gegeben ist. Darum lehnt sie entsprechende Anträge regelmässig ab. Generell sind ihre Einschätzungen allerdings auch nicht unbestritten. Immer wieder monieren Architekten und Bauherrn, dass sich die Kommission auf ästhetische Detailfragen kapriziere, anstatt sich um die grossen Fragen zu kümmern, die für das Stadtbild wirklich entscheidend wären. Einzelne Kommissionsentscheide seien zudem schwer nachvollziehbar. Ein Grund, warum die Regierung eine Reorganisation plant. Zur Debatte steht ein neues System, in dem die Stadtbildkommission nur noch «Baugesuche mit grosser Tragweite und von grundsätzlicher Natur» begutachten würde. Die anderen Gesuche könnten von einer neuen Fachstelle in der Verwaltung beurteilt werden. Noch hat die Kommission aber nicht nur eine beratende, sondern auch entscheidende Funktion, auch im aktuellen Fahnenstreit.

 

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